Ich hatte sie auf einer Demo kennengelernt. Sie trug einen eleganten Trenchcoat, ihr Gesicht hatte ein dezentes Make-Up und die dunklen gelockten Haare gaben ihr ein mädchenhaftes Aussehen,
aber sicher war sie schon um die 40. Wir verstanden uns gut und nach Abschluss der Demonstration, lud sie mich zu einem Kaffee ein.
Wir unterhielten uns angeregt über kulturelle Dinge, ich kam dabei auf ein Komödie zu sprechen, die ich kürzlich im Theater gesehen hatte. Sie wollte wissen, wie das Stück beim
Publikum angekommen sei und ich, überwältigt von der Erinnerung, platzte heraus: „Wir lachten bis zur Vergasung“.
Sie zuckte zusammen und sagte langsam: „Weißt du, was du jetzt gesagt hast?“
Es überlief mich eiskalt, ich erkannte sofort die wahre Bedeutung des Satzes und entschuldigte mich. Aber es war zu spät, das Gespräch tröpfelte und ich verabschiedete mich bald.
Auf dem Heimweg fragte ich mich: Wie konnte das passieren? Ich bin kein Antisemit, Bei Gott, nein! Aber wie kam ich zu diesem furchtbaren Satz? Und dann fiel es mir ein: Der Satz stammte aus den
50er Jahren.. Wir Kinder sagten ihn, wenn wir etwas besonders Lustiges gesehen hatten. Es war ein Satz, den wir von Erwachsenen übernommen hatten.
Ich wünschte, ich hätte meiner Gastgeberin noch sagen können, dass nicht ich den Satz gesagt habe, sondern das Kind aus der Nachkriegszeit.
Warum erzähle ich das?
Ich frage mich, was dem Mund eines Kindes von heute in 20-30 Jahren versehentlich entschlüpfen wird. Und ob es sich dann wie ich schämen muss.