Wenn heute einer schimpft, ist er ein Wutbürger, so steht’s in den Medien, so hört man's im Rundfunk. Zwar ist es meistens nur Zorn. Aber Journalisten haben keine Zeit für Unterschiede. Und
zweitens: Das Wort muss knallen. Dann wird man gelesen und gehört. Eigentlich sind es dann Wut-Journalisten. Aber das würden sie sich verbitten. Sie würden sagen, wir übertreiben ein
bisschen, und das muss sein wegen der Zeitungsauflage oder der Zuschauerquote beim Fernsehen. Wütend sind sie eigentlich nicht. Sie sind sogar zartfühlend: Niemals schreiben sie
„Wutbürgerin“.
Jedenfalls, das Wort ist nun einmal da und mittlerweile möchte jeder ein Wutbürger sein.
Ohne Wut geht man nicht mehr aus dem Haus. Man will schließlich respektiert werden. Das Wort Wutbürger als Titel ist fast schon so gut wie ein akademischer Titel. Sollte man auf seine
Visitenkarte drucken lassen.
Selbst die Dinge könnten bald mit dem Wort "Wut" versehen werden, um sich neue Käuferschichten zu erschließen. Z.B. Wut-Ei (zum Werfen auf Redner), Wut-Handschuhe (Boxhandschuhe), Wut-Bier (um
sich für eine Demonstration fit zu machen) und so weiter.
Heute Morgen startete hier ein Auto mit einem Höllenlärm und ich hörte, wie es schrie: „Ich bin ein Wut-Auto!“
„Bist du nicht, du Rindvieh“, schrie ich zurück. „Du hast bloß einen idiotischen Fahrer!“
Na bitte, auch ich kann ein Wutbürger sein.
Ja doch. Einmal war ich sogar richtig wütend. Der verdammte Nagel ging partout nicht in die Wand, da schmiss ich den Hammer gegen die Wand. Er prallte ab und mir auf den Fuß.
Ich meine, ein Wutbürger ist mehr besoffen als wütend. Er sollte einfach mal einen Nagel in eine Mauer schlagen. Und keine Schuhe tragen. Das beruhigt. Wirklich.