Dieter Lenz
Schauspieler: 4 m, 2 w
Die Personen sind
GEORG, ehemals selbständiger Grafiker
CHRISTA, seine Frau, feiert ihren 60. Geburtstag
LARS, beider Sohn
SARAH, beider Tochter
KLAUS, Sarahs Freund
POLIZIST
Das Bühnenbild
Ein Wintergarten. Links die Hauswand mit dem Durchgang ins Haus. An der Wand ein altes IKEA-Sofa. In der Mitte ein festlich gedeckter Tisch mit Tassen, Tellern, Kerzen, umringt von weißen Holzstühlen. Abseits eine Kommode darauf ein Spiegel, ein siebenarmiger Kerzenständer aus Holz, eine Buddhafigur und eine Wasserkaraffe mit Gläsern.
Rechts eine Schiebetür zum Garten. Sie ist geöffnet.
Man sieht durch die Glaswand in den Garten. Über einem Busch der Mast eines Segelbootes.
1
(GEORG in dunkler Bügelfalten-Hose und weißem Hemd und CHRISTA in einem knöchellangen, hellblauen Sommerkleid)
GEORG (zieht sich Halbschuhe an, während sich CHRISTA vor dem Spiegel frisiert): Lackschuh oder barfuß... Ich wäre lieber barfuß... Entweder sind meine Schuhe kleiner oder meine Füße größer geworden... Kann man die Dinger offen lassen?
CHRISTA: Welche Dinger?
GEORG: Na hier.. Die Schnürsenkel.
CHRISTA: Also Einfälle hast du. Natürlich nicht!
GEORG: Was für ein Aufwand... Kommt der Regierende? (wischt sich die Hände mit einem Taschentuch)
CHRISTA: Es kommen nur unsere Kinder.
GEORG: Kinder.. Irgendwas stimmt da nicht. Meinst du nicht, sie sind etwas zu groß für Kinder? Oder sind wir kleiner geworden?
CHRISTA: Sei nicht albern.
GEORG: Und was machst du die ganze Zeit vorm Spiegel?
CHRISTA: Ich will nicht so aussehn.. so alt! Das mögen die Kinder nicht.
GEORG: Erinnerst du dich an das Foto? Das Gruppenfotos aus den Siebzigern. Du sagtest, ich sei auch darauf, aber ich fand mich nicht.
CHRISTA: Ja. (lacht) Das war lustig. Du hast dich nicht erkannt.
GEORG: Ist es möglich, dass man nicht mehr weiß, wie man einmal war?
CHRISTA: Was du heute so redest.. Bist du aufgeregt?
GEORG: Nein. Du müsstest es sein. Du hast Geburtstag.
CHRISTA: Nach dem Soundso-Wievielten regt man sich nicht mehr auf, nicht mal bei einem runden. Aber ich freue mich, dass die Kinder kommen. Ich sehe viel zu wenig.
GEORG: Du könntest sie ja auch mal besuchen. Bist du nicht neugierig, wie sie wohnen?
CHRISTA: Fang jetzt nicht damit an, ja? (Es klingelt) Gott, da sind sie schon.. So mach doch auf!
(GEORG ab, CHRISTA macht noch einige Korrekturen an ihrer Frisur.)
2
(GEORG und LARS kommen, LARS trägt einen weißen Hut)
GEORG: Und hier, gnädige Frau, der Senator aus Texas. (verbeugt sich vor LARS) Herzlich willkommen!
CHRISTA (lacht): Aber Lars.. Wirklich! Warum trägst du einen Hut?
GEORG: Ihm fallen die Haare aus.
LARS: Gewöhnt euch dran. Es wird mein Markenzeichen. (reicht seiner Mutter ein Geschenkpäckchen) Alles Gute zum Geburtstag, Mutter.
CHRISTA: O, was ist das?
GEORG: Das sieht man doch. Ein Buch. Zu mehr hat es nicht gereicht.
CHRISTA: Das muss ich gleich öffnen! Aber gib mir erst einen Kuss. (Er küsst sie, sie wickelt das Geschenkpapier ab) O, ein Buch..
GEORG: Was du nicht sagst.
CHRISTA (sieht es an): Ufo-Sekten.. (Pause) Ich gehöre keiner Sekte an.
LARS: Ich weiß. Aber da geht es um Außerirdische, wissenschaftlich betrachtet.
CHRISTA: Ich brauch keine Wissenschaft, ich sehe und kann selber denken. Aber trotzdem Danke. Es kommt in Vaters Bibliothek
LARS (nimmt den Hut ab, sieht sich um): Wo kann ich meinen Hut hinlegen?
GEORG (in Butlerhaltung): Wenn mir der Herr seinen Kopfputz überlassen wollte? Ich deponiere ihn in der Fürstengarderobe.
CHRISTA: Leg ihn auf die Kommode. (LARS tut es. Zu GEORG) Mein Gott, Georg! Lass das doch. (GEORG erstarrt) Was um Himmels Willen ist denn jetzt schon wieder? (LARS kommt zurück)
GEORG (gespielt fassungslos): Habe ich richtig gehört? Du hast Gott zu mir gesagt?
CHRISTA: Also weißt du.
LARS: Komiker in Aktion.
CHRISTA: Dein Vater kann einfach nicht ernst sein.
LARS: Was juckt ihn denn wieder?
GEORG: Gar nichts. Und dich?
LARS: Ich hab Durst. Wie wär’s mit einem Glas Wasser?
CHRISTA: Schon unterwegs! (ab)
GEORG: Na großartig! Witz und Spott sind versammelt, auch die Burleske ist eingeladen. Es hebe sich der Vorhang. Die Clowns, die Clowns! Seht meinen Auftritt. Die Schuhe sind klein, die Füße sind groß.. Verehrtes Publikum! Hörst du es knacken? Es sind die Zehen.
LARS: Nervös?
GEORG: Mach keinen Stunk heute, hörst du?
LARS: Du fängst ja schon an damit.
GEORG: Wo ist Sarah? Wolltet ihr nicht gemeinsam kommen? Mit ihrem Freund? Wie ist er? Kennst du ihn?
LARS: Du stellst Fragen. Er macht in Immobilien, genau wie sie. Ist älter. Ich vermute mal: Vaterersatz.
(Sein Smartphone klingelt, er geht beiseite, spricht leise hinein, CHRISTA kommt mit einem Glas Wasser. Er steckt das Smartphone weg.)
CHRISTA: War das Sarah? Kommt sie nicht?
LARS: Das war geschäftlich.
CHRISTA: Mach es aus, solange du hier bist. Ja? (reicht ihm das Glas)
LARS: Geht nicht. Nicht mal nachts. (trinkt) Ich bin Trader, mach Finanzgeschäfte...
GEORG: Interessant. Sagen Sie, was empfehlen Sie mir für meine Milliönchen?
CHRISTA: Bitte, Georg, hör jetzt auf damit. (zu LARS) Lass dich von ihm nicht aufziehn.
(Es donnert und klingelt fast gleichzeitig.)
CHRISTA (erschrocken): Habt ihr das gehört?
GEORG: Ja, es hat geklingelt.
LARS: Das sind sie. Ich mach auf. (ab)
CHRISTA (erregt): Wer sind „sie“?
GEORG (sie aufmerksam betrachtend): Sarah und ihr Freund. Nun freu dich doch!
CHRISTA: Ja, ja.. Aber wer sind „sie“?
GEORG: Lächle!
CHRISTA: Jaja.. (LARS, SARAH und ihr Freund KLAUS kommen, SARAH in einem hauchdünnen Sommerkleid mit Spaghettiträgern. CHRISTA sieht SARAHS Freund, weicht zurück) Wer ist das? (Sie drängt sich an GEORG, der legt einen Arm schützend um sie) Was will er?
GEORG: Das ist Sarahs Freund, sie hat doch gesagt, dass er mitkommt.
KLAUS (verbeugt sich): Klaus Behrend... Meinen herzlichsten Glückwunsch zum Geburtstag! (reicht CHRISTA einen bunten Blumenstrauß)
CHRISTA: Das sind Blumen.
KLAUS: Ja.
CHRISTA: Schnittblumen. Ich will keine Schnittblumen.
SARAH: Ganz frisch, Ma. Die schönsten.
KLAUS: Das ist mir aber unangenehm. Sie mögen keine Schnittblumen?
CHRISTA: Sie sind getötet! (Das Smartphone von LARS klingelt)
GEORG (zu SARAH): Warum hast du es ihm nicht gesagt?
SARAH: Ich hab das vergessen.
LARS (holt das Smartphone aus der Tasche): Entschuldigt.. (geht beiseite, spricht leise hinein)
KLAUS: Ich hätte wohl besser einen Blumentopf mitbringen sollen. Verzeihen Sie. Eigentlich habe auch ich Blumen lieber in der Natur.
CHRISTA (löst sich von GEORG): Nicht wahr? Blumen sind Lebewesen und wer Blumen schneidet, der tötet sie.
SARAH: Stell sie ins Wasser und du wirst sehn, sie leben.
CHRISTA: Ein Scheinleben, aber tu es, Schatz. (SARAH mit den Blumen ab)
GEORG (zu KLAUS): Sie werden nachher den Garten sehen, da werden Sie staunen! Sie hat nicht nur einen grünen Finger, sie hat zehn.
KLAUS: Darauf freue ich mich schon. (LARS hat das Smartphone weggesteckt, kommt zurück)
CHRISTA: Ich habe dich gebeten, es auszuschalten.
LARS: Geht nicht. (Ein Moment Schweigen)
CHRISTA: Sind Sie mit dem Auto gekommen? (SARAH kommt mit den Blumen in einer Vase zurück, stellt sie auf die Kommode)
KLAUS: Ja.
SARAH: Es parkt in der Nebenstraße. Ein neuer Volvo.
GEORG: Toll... Was stehn wir noch rum? Es gibt Kaffee und Kuchen. Und dann grillen unter freiem Himmel.
LARS: Ja, genug getrödelt. Ich hab wenig Zeit.
SARAH: Moment, Moment.. (zu CHRISTA) Ma, mach die Augen zu! (legt ihr eine Halskette um) Und jetzt, kuck in den Spiegel!
CHRISTA (vorm Spiegel): Eine Halskette.. Entzückend!
SARAH: Wunderbar wie sie zu deinem Kleid passt.
CHRISTA (zu GEORG): Hübsch, nicht?
GEORG: Du bist hübsch.
SARAH: Die Kette macht sie noch hübscher. Was meinst du, Klaus?
KLAUS: Geht das überhaupt noch... so hübsch wie sie schon ist?
CHRISTA: Sie Schmeichler!
SARAH: Und jetzt zeig dich! Geh auf die Straße, du wirst alle Blicke auf dich ziehn.
CHRISTA: Du weißt nicht, was du sagst. Das wäre der Anfang.
KLAUS: Der Anfang von was?
CHRISTA: Vom Bösen.
KLAUS: Aber nicht doch.
GEORG: Jawohl. Nicht und doch. Und dazu sage ich... Nein, ich sage nichts. Schreiten wir zur Tafel, meine Königin. (reicht CHRISTA den Arm, sie lacht und hakt sich ein)
LARS: Wir sollten lieber gleich grillen. Es sieht nach einem Gewitter aus.
GEORG: Ach was. Der Tisch ist schon gedeckt.
CHRISTA: Es fehlt der Kuchen.
GEORG: Pardon, Madame. (löst sich von CHRISTA) Ich werde ihn sofort holen.
CHRISTA: Er ist noch im Ofen. Schneid ihn in Stücke, aber in gleich große. Und lass den Kaffee durchlaufen.
GEORG: Zu Befehl!
CHRISTA: Inzwischen zeig ich Klaus das Haus. Interessiert?
KLAUS: Aber ja..
CHRISTA (zu SARAH und LARS): Ihr könnt euch im Garten umsehen. Ich hab eine Reihe Lavendel gepflanzt.
GEORG: Aber reißt keine Blumen raus! Versucht eure Kräfte lieber an einem Baum.
(CHRISTA, GEORG und KLAUS ab)
3
SARAH: Manchmal könnte man ihm eine scheuern, stimmt‘s?
LARS: Energieverschwendung.
SARAH: Hier hat sich nichts verändert. Man kommt sich vor, als wär man in einem Traum von einem anderen Menschen.
LARS: Ja, und dazu ist es ein Albtraum. (geht betrachtend herum) Riechst du's? Der alte Ikea-Geruch. Und gleich geht die Tür auf und ein paar Verrückte stürmen herein, in den Händen Weinflaschen und selbst gedruckte Bücher. Dann stinkende Kerzen, Zigarettenqualm, billiger Rotwein, die Biermann-Platte... Und Gequassel von Sozialismus, Weltrevolution.. Was hast du lieber: Ein gekochtes Ei oder ein Spiegelei? Antwort: Es kommt darauf an, was der Arbeiterklasse nützt. (bleibt beim Buddha stehen) Gestern Marx, heute Buddha.
SARAH: Nach dem Lärm die Stille.
LARS: Schön wär’s.
SARAH: Loslassen, Lars, loslassen!
LARS: Ja, was denn! Den Stallgeruch? Und dann: er spricht immer noch von seiner Vision für die Menschheit. Und sie hat auch eine, die steht sogar schon vor der Tür, nein, überm Dach, es ist ein Ufo. Die reinen Illusionisten, aber bei ihr ist es schon krankhaft.
SARAH: Sie sind eben alt, vergiss das und mach es so. (zeigt auf ihr Ohr) Hier rein und da raus. Ziehn wir das hier durch und dann ab nach Haus... (betrachtet sich im Spiegel) Du, weißt du das Neuste? Vielleicht schaff ich mir ein Kind an. Klaus wäre geeignet. Lach nicht. Es ist nun mal so, die biologische Uhr tickt. Und ihnen täte es auch gut, sie hätten ein Enkelkind. Sie wäre bestimmt gern Großmutter .. und er könnte wieder den Oberlehrer machen.
LARS: Und siehe, sie opferte den Göttern ein Kind.
SARAH: Bloß, ehrlich gesagt, austragen möcht ich es nicht. Kennst du eine Leihmutter?
LARS: Nur Leihväter.
SARAH: Na, dann eben mit Kaiserschnitt. Ich lass mir doch nicht meine Figur verderben... Gefall ich dir?
LARS: Deine Schönheit schreit zum Himmel... Deinen Samenspender mag ich nicht.
SARAH: Aber ich.
LARS: Ein Weichei als Vater. Das hatten wir doch schon.
SARAH: Quatschkopp. Und meinen Job geb ich natürlich auch nicht auf, niemals.
LARS: Dass du überhaupt an so was denkst. An ein Kind! Fällt dir nichts Besseres ein? Schau uns an. Willst du, dass solche Typen die Welt beherrschen?
SARAH: Und du glaubst wirklich, dass du die Welt beherrscht? Kindskopf... Komm, gehn wir in den Garten. (beide ab in den Garten)
4
(KLAUS und CHRISTA kommen)
CHRISTA: Entschuldigen Sie, dass ich Sie anfangs nicht gleich erkannt habe.
KLAUS: Wie sollten Sie. Wir hatten uns ja noch nie gesehn.
CHRISTA: Und wie gefallen Ihnen die Zimmer?
KLAUS: Sehr schön, vor allem Ihres. Es hat so etwas.. Eigenes .. Duftiges.
CHRISTA: Sagen Sie es ruhig: Spirituelles. Auf dem Teppich meditiere ich. Im Lotossitz.
KLAUS: Ich könnte das nicht. Ich würde mir die Beine brechen. (blickt in den Garten) Herrliche Hortensien!
CHRISTA: Nicht wahr?
KLAUS: Und das dort. rechts.. Ist das Lavendel?
CHRISTA: Ja.
KLAUS: Wie in Frankreich.
CHRISTA: Dabei mag ich Frankreich gar nicht. Ich liebe Skandinavien.
KLAUS: Ja, Sarah, sagte es schon. Sie machten oft Ferien in Schweden.
CHRISTA: Wir hatte da sogar ein eigenes Häuschen, mussten es aber aufgeben, weil wir hier das Haus kaufen. wollten. Es war auch zu weit weg. Die lange Fahrt mit dem Auto und dann die Fähre.. Aber die Luft dort, die reine Luft... Und Mittsommer, die weißen Nächte...
KLAUS: Dafür ist unser Winter kürzer.
CHRISTA: Ja, das stimmt. Was sehen Sie mich so an?
KLAUS: Sie sehen toll aus. In diesem Kleid. Wissen Sie, ich mag knöchellange Kleider. Wie sich der Stoff an den Körper schmiegt. Frauen gehen darin wie Königinnen und trotzdem leicht und fließend.. als wären sie Engel.
CHRISTA: Mir scheint, Sie sind ein Romantiker.
KLAUS: Ja.
CHRISTA: Und dann lieben Sie Sarah? Wie geht das?
KLAUS: Gut.
CHRISTA (lacht)
GEORG (kommt, auf der einen Hand der Kuchenteller, in der anderen die Kaffeekanne): Nimmt mir einer den Kuchen ab?
KLAUS: Ja, gern. (nimmt GEORG den Kuchenteller ab) Käsekuchen! (stellt ihn auf den Tisch) Mein Lieblingskuchen.
GEORG: Von meiner Frau selbst gebacken.
CHRISTA: Klaus, Sie werden mir unheimlich.. Ich hole jetzt die Kinder. (ab in den Garten)
5
GEORG (zu KLAUS): Er ist noch warm, so schmeckt er am besten .. Sie haben sie zum Strahlen gebracht. Wie machen Sie das? (stellt die Kaffeekanne auf den Tisch)
KLAUS: Ich glaube, wir haben etwas geflirtet.
GEORG: Nur weiter so. Sie ist ein wenig depressiv.
KLAUS: Davon habe ich nichts gemerkt.
GEORG (während er den Kuchenteller verschiebt und hier und dort wie ausbessernd an Tassen und Tellern rückt): Sie haben das Haus gesehen. Was meinen Sie? Könnte man es beleihen? So um die 30 000?
KLAUS: Warum nicht?
GEORG: Nunja. Einst selbständiger Grafiker, jetzt Rentner ohne Rente, und meine Frau ist Bibliothekarin, zurzeit arbeitslos. Na, das Übliche.
KLAUS: Das heißt, Ihr Einkommen ist gering.
GEORG: Sehr gering.
KLAUS: Ich kümmer mich drum.
GEORG: Das ist lieb.
KLAUS: Warum fragen Sie nicht Lars nach einem Darlehen?
GEORG: Geiz und Gier, fertig ist das Menschentier. Seiner Meinung nach habe ich in den Tag hinein gelebt.... hätte das Geld mit vollen Händen ausgegeben ... Na, lassen wir das. Außerdem, und das ist das Entscheidende, meine Frau würde es nicht wollen, und ich bitte Sie, über dieses Gespräch Vertraulichkeit zu bewahren, auch meiner Frau gegenüber, besonders meiner Frau. Es gibt Dinge, die sind noch komplizierter als das Leben, mein Lieber, darauf weiß vielleicht selbst Buddha keine Antwort. (wischt sich die Hände mit einem Tuch) Na, lassen wir das. Mich ekelt das Geld. Es stinkt nicht, aber es ist wie altes Fett und verklebt das Gehirn. Warum reden wir darüber? Damals, wir waren jung, ja.. Jedenfalls... Sie wissen. 68. Das Geld war unwichtig, das heißt, bis zu einem gewissen Grade schon, aber darüber... darüber hinaus gab es das Leben, verstehen Sie! Nur noch das Leben! Das wollten wir, sonst nichts. Ich sag Ihnen was: Der Kapitalismus braucht Egoisten. Ohne Egoisten ist es aus mit ihm. Und sehn Sie sich mal um.. Egoisten! Darauf werden schon die Kleinsten gepolt. Alles nach dem Motto: Ich zuerst. Der Kapitalismus hat gesiegt und wie's aussieht für immer... Gratuliere.. Sie haben ein Auto? Achja, richtig. Einen Volvo.
KLAUS: Ja.
GEORG: Glücklich?
KLAUS: Ich bin zufrieden.
GEORG: Man sagt, Hundehalter werden ihren Hunden immer ähnlicher.. Wie ist das mit Autohaltern? Das war ein Witz.
KLAUS: Ja, natürlich. Übrigens, ich muss Ihnen widersprechen... Auch wir haben unsere Träume. Nur sind wir Realisten. Man braucht Geld, um seinen Traum zu verwirklichen.
GEORG: Nein! Einspruch! Womit haben die Revolutionäre die Welt verändert? Mit Geld? Nein, mit ihrem Leben. Ja, sie bezahlten mit ihrem Leben. Übrigens eine Währung, die nie an Wert verliert. Korrektur. Stimmt nicht. Zur Zeit herrscht Inflation. Ein Krieg nach dem anderen. Höchste Zeit, die Welt zu verändern. Oder?
KLAUS: Welt verändern... Ist das nicht zu hoch gegriffen? Wir wollen doch nur unsere Träume verwirklichen. Es sind nicht einmal besonders große. Wäre es Ihnen lieber, wenn Sarah ihre Träume mit dem Leben bezahlte?
GEORG: Ich kenn ihre Träume. Sie sind es nicht wert. Nicht einmal dafür zu leben.
KLAUS: Mir scheint, sie mögen Ihre Kinder nicht.
GEORG: Unsinn. Ihre Träume mag ich nicht.
KLAUS: Ich bin überzeugt, auch Revolutionäre haben ihre Träume.
GEORG: Ja, aber die sind nicht egoistisch.
KLAUS: Meinen Sie das wirklich? Ist nicht jeder Traum letztlich egoistisch?
GEORG: Jetzt kommen wir ins Spintisieren... Na, lassen wir das. Ich hoffe, Sie machen meine Tochter glücklich.
KLAUS: So weit es in meiner Macht liegt, gewiss.
GEORG: Gewiss. (Pause) Trägt man heute wieder BH? Zu meiner Zeit legten die Frauen ihn ab. Ich glaube, das war unser größter Erfolg.
KLAUS: Tatsächlich?
GEORG: In der Tat... (Pause) Tja.. Ich hoffe, Sie machen meine Tochter glücklich.
KLAUS: Das sagten Sie schon.
GEORG: Ja. (Pause) Wir verstehen uns nicht.
KLAUS: Ich bemühe mich, Sie zu verstehen.
GEORG: Ich registriere das mit Dankbarkeit.. Worüber reden wir jetzt? Fällt Ihnen was ein?
KLAUS: Ich weiß nicht. Das Wetter?
GEORG: Nein, so einfach machen wir es uns nicht ... Mal sehn... Passen Sie auf. Was halten Sie davon. Also, stellen Sie sich vor, Sie sind in einem Raumanzug außerhalb Ihres Raumschiffes. Sie spüren Ihren Körper nicht mehr, gar nichts spüren Sie.. Auf einmal sind Sie - das könnte Ihnen wirklich passieren - auf einmal denken Sie: Ich bin ja ein geistiges Wesen. Ein geistiges Wesen! Und alles andere, was ich drumherum hatte, war nur Kostüm, Flitter.. Verstehen Sie?
KLAUS: Ja..
GEORG: Sie verstehen?
KLAUS: Ich glaube schon... Ich hab doch noch meinen Raumanzug an?
GEORG: Ja, das ist die Frage...
KLAUS: Würden Sie gern unseren Planeten verlassen?
GEORG: Sofort. Aber eigentlich mehr die, die darauf herum wimmeln. Na, lassen wir das. Aber ich sage Ihnen, im Alter wird der Körper schwerer, dann möchte man ihn gern los sein.. Gucken Sie nicht so betröppelt. Ich bin der Clown, nicht Sie. (CHRISTA, LARS und SARAH kommen aus dem Garten) Achtung, sie kommen! (Er legt sich eine weiße Serviette über den linken Unterarm, hält den rechten Arm hinter dem Rücken, spielt Kellner) Bitte die Plätze einzunehmen. Es ist serviert.
6
(Alle am Tisch bei Kaffee und Kuchen)
CHRISTA: Na, wie war dein Urlaub, Sarah?
SARAH: Unser Urlaub. Wie machten ihn gemeinsam, Klaus und ich.
KLAUS: Wir waren auf einer Safari in Australien.
SARAH: Jetzt kennen wir Busch und Savannen.
GEORG: Der erst war ein amerikanischer Präsident. Aber wer ist Savannen?
(greift ein Kuchenstück und beißt hinein)
CHRISTA (zu GEORG): Würdest du bitte die Kuchengabel nehmen? Du krümelst auf den Boden!
GEORG (legt das Kuchenstück auf seinen Teller)
CHRISTA (wendet sich an die Kinder):Und habt ihr Aborigines gesehen? Wie leben sie?
SARAH: Wir haben keinen gesehen.
GEORG: Wieso habt ihr keinen gesehen? Das sind die Ureinwohner.
SARAH: Das weiß ich. Aber wir waren keine Volkskundler, wir waren bloß Urlauber.
KLAUS: Es war kein Luxusurlaub. Wir haben, so glaube ich, auf Land und Einwohner Rücksicht genommen, so gut wir konnten.
SARAH: Und letzten Endes profitiert das Land von den Touristen, wir bringen Devisen.. Und damit unterstützt die Regierung die Eingeborenen.
GEORG: Und das hast du gesehen.
CHRISTA (blickt SARAH und KLAUS an): Seid ihr glücklich?
SARAH: Natürlich. Warum fragst du das?
LARS: Ich wäre glücklich, wenn ich noch ein Stück vom Käsekuchen bekäme.
GEORG: Ich auch. Hab meines schon verputzt.
CHRISTA: Dann greift doch zu.. Ja, glücklich sein, das ist das Wichtigste. Im Grunde braucht es nicht viel dazu. Ich bin heute glücklich, sehr glücklich. Und wisst ihr warum? Es ist nicht nur mein Geburtstag .. Seht ihr die Mastspitze dort? (zeigt in den Garten)
SARAH (leise): O Gott!
LARS (ebenso): Es geht los.
CHRISTA: Meine Lieben! Es ist geschafft! Das Boot ist seeklar. Gestern brachte ich den letzten Proviant an Bord!
GEORG: Ausgezeichnet. (hebt die Kaffeekanne) Wer will noch Kaffee? (keiner reagiert, er gießt sich ein)
KLAUS: Ist da ein Segelboot im Garten? Ich dachte, es ist die Spitze einer Fahnenstange.
LARS: Es ist unser Rettungsboot bei der kommenden Sintflut.
SARAH: Ach, er übertreibt. Man könnte es eher so ausdrücken: Es ist ..
GEORG: Eine Sentimentalität von meiner Frau. Wir hatten eine Ferienhaus in Schweden an der Ostsee und ein Segelboot. Wir verkauften das Haus, weil wir Geld für das Haus hier brauchten. Das Boot wollte meine Frau behalten, sie liebt es, drücken wir es also so aus: Es ist eine Art Souvenir aus eine glücklichen Zeit..
CHRISTA: Was redest du da, Georg. Das stimmt doch alles nicht. Ich habe von Anfang an gewusst, wir würden es eines Tages brauchen. Und jetzt ist es soweit.
GEORG: Liebes, ich wünschte, du würdest nicht immer so viel Nachrichten sehen. (zu den anderen) Als wir eine Turn rüber nach Finnland machen wollten, bestand sie darauf, dass ich mir eine Pistole besorge. Nur weil sie in den Nachrichten von Piraten gehört hatte. Irgendwo dort unten in Afrika.
CHRISTA: Unsinn. Ich habe keine Angst, wenn du das meinst. Überhaupt nicht, im Gegenteil. Mir geschieht ja nichts.
LARS: Aber Fakt ist, du glaubst, es kommt eine Flut.
CHRISTA: Aber natürlich kommt eine Flut. Ich habe Botschaften.
KLAUS: Botschaften?
CHRISTA: Aus dem Internet. Jeder kann sie lesen.
LARS: Von Witzbolden. Das Internet wimmelt davon.
CHRISTA: Aber an deine Börsenkurse glaubst du, die stehn auch im Internet. Du weißt doch gar nicht, wie die manipuliert werden.
GEORG: Großartig, das ist mein Thema, jetzt bin ich dran.
LARS: Falls du es noch nicht gemerkt hast: Marx ist tot, mausetot.
GEORG: Aber seine Ideen..
LARS: Murx, schon immer.
KLAUS: Aber wenn man alles in Zweifel zieht, woran soll man sich noch halten?
SARAH: An den Käsekuchen. Stopft euch den Mund damit.
CHRISTA: Wie ihr alle redet... Dabei steht uns die Flut bevor.
LARS: Na und. Soll sie kommen. Irgendjemand findet noch rechtzeitig den Stöpsel in der Wanne.
CHRISTA: Lars, ich mag diese Sprache nicht.
GEORG: Was ist nur mit den Leuten los. Haben die jetzt ihre Scheiße im Hirn und nicht mehr in Hintern?
CHRISTA: Ich sagte gerade, ich mag diese Sprache nicht!
KLAUS: Ich denke, eure Mutter hat nicht Unrecht. Alles deutet auf einen wachsenden Meeresspiegel. Es ist der Klimawandel. Wir bekommen garantiert nasse Füße. Sozusagen.
LARS: Da siehst du, Ma. Bloß Klimawandel.
CHRISTA: Natürlich ist es ein Klimawandel. Meint ihr, die höheren Wesen arbeiten mit Tricks? Sie achten die natürlichen Gesetze.
KLAUS: Ich denke, weniger CO2 zum Beispiel.. Das würde die Erde retten.
CHRISTA: Nein nein, es ist etwas ganz anderes. Die Erde muss gereinigt werden. Sie ist beschmutzt. Blutig und beschmutzt. Die Flut wäscht alles weg, die Erde wird rein und ein neues, ein besseres Leben beginnt.
LARS: Demnach handelt es sich bei den Außerirdischen also nur um eine Putzkolonne des Universums. Wie beruhigend.
GEORG: Würdest du endlich mal damit aufhören?
LARS: Sie sollte lieber aufhören!
KLAUS (zu CHRISTA): Verzeihen Sie, ich bin ein gläubiger Mensch. Wer anders als Gott ist Schöpfer und Herr über das Universum?
CHRISTA: Sie glauben wirklich an Gott? Dieser Gott, ich bitte Sie! Hat er nicht seinen Sohn am Kreuz sterben lassen? Und was tut er jetzt? Er lässt Menschen abschlachten und das in seinem Namen. Gott... was für eine Kreatur! Wir sind glücklicher ohne ihn. Aber es gibt die Außerirdischen, selbstverständlich, es sind Wesen aus einer anderen Dimension, und sie sind gekommen. Sie wollen das Böse für immer vernichten.
KLAUS: Ich möchte etwas dazu sagen. Gott – ich meine den Gott, an den ich glaube – wollte eine sündige Stadt nicht zerstören, sofern sich unter den Menschen auch nur ein Gerechter fände. Wie viele Gerechte werden Ihre Außerirdischen durch die Flut umbringen?
GEORG: Nebenbei: Wenn wir das Ebenbild Gottes sind, möchte ich ihm nicht begegnen.
CHRISTA: Keinen einzigen! Keinen einzigen Gerechten werden die Außerirdischen umbringen! Denn diese sind längst Lichtwesen geworden, so wie ich, und alle Lichtwesen werden aufsteigen zu den höheren Wesen und auf die Erde zurückkehren und eine neue, bessere Welt aufbauen.
SARAH: Sind wir auch Lichtwesen?
LARS: Also ich nicht. Hat mir mein Arzt gesagt.
CHRISTA: Ja, aber ihr habt nicht an euch gearbeitet, ihr seid noch unrein. Aber keine Angst. Ich nehme euch mit!
GEORG: Und dafür danken wir dir.. Seht mal, wir müssen den Grill anwerfen. Es zieht sich zu. Am besten machen das die jungen Leute. Ihr spielt doch gern mit dem Feuer ... Also los.
CHRISTA: Sprich nicht so leichtfertig ... Seid vorsichtig. Kommt dem Boot nicht zu nah!
SARAH: Ja klar doch.. (blickt nach draußen) Wirklich! Die Sonne ist weg. Wir müssen uns beeilen! (SARAH, KLAUS und LARS ab in den Garten)
Blackout
7
(GEORG und CHRISTA. Es ist schummrig)
CHRISTA: Auf einmal wird's dunkel.
GEORG: Tja, logisch, die Sonne ist weg. Aber dafür haben wir ja unsere Kerzen. (zündet sie an) Hoffentlich fängt es nicht an zu regnen. (zieht eine Schublade der Kommode auf)
CHRISTA: Dann feiern wir eben hier weiter. Was suchst du?
GEORG: Mein Geburtstagsgeschenk für dich. (Holt aus der Schublade eine grüne Polizeimütze heraus) Nach über dreißig Jahren kommt sie wieder ans Licht. Weißt du noch? Wir und die Bullen.. Wie der Igel und der Hase. Wir waren der Igel. (setzt sich die Polizeimütze auf)
CHRISTA: Sieh mal, ein Polizist! Spielst du mir was vor?
GEORG: Eine persönliche und intime Vorstellung von Georg Kersten, dem großen Schauspieler, zu Ehren der Jubilarin Christa Kersten. Du weißt, mich hat mal einer erwischt und geprügelt... Stimmt das, Wachtmeister Müller? (antwortet mit anderer Stimme) Jawohl, ich war das. Ich hab ne Menge geprügelt. Alles Chaoten. Spinner. Sie auch, nebenbei bemerkt. Na, ist vorbei. Die große Zeit, meine ich. Hat richtig Spaß gemacht. Mir genauso wie Ihnen, denk ich. Wenn ich Sie verprügelt hab, nehmen Sie das nicht persönlich. Das gehörte eben dazu. Jetzt sind wir Rentner und leben in Frieden.. Das Vergangene ist Geschichte... (nimmt die Mütze ab)
CHRISTA: Was ist? Ist das alles?
GEORG: Ja. (wischt sich das Gesicht)
CHRISTA: Das war kläglich.
GEORG: Ja, der Witz ist hin.
CHRISTA: Weinst du? Gehört das zum Spiel?
GEORG: Klar heul ich! Vor Glück heul ich! Verdammt..! Es ist schwül und ich schwitze, das ist alles. Und mehr kann ich dir nicht bieten, wir sind knapp bei Kasse. . Naja, hungern müssen wir noch nicht.
CHRISTA: Das ist doch die Hauptsache. Mehr brauchen wir nicht.
GEORG: Nein.. Weißt du was? Wir sind leise geworden. Hör dir den Krach der Jugend an. Auch wir sollten Krach machen. Heute geht nichts ohne Krach. .. Warum liest du diese esoterischen Bücher? Wir waren links, Christa, links. Arm und Reich, das ist das Thema!
CHRISTA: Ja, das auch. Aber hauptsächlich geht es um die Seele des Menschen, nicht um das Materielle. Und das war schon immer so.. Ich wusste schon damals, dass nichts daraus wird... aus eurer Revolution. Ihr wart Träumer, süße Träumer. Eigentlich bin ich nur deinetwegen mitgelaufen.
GEORG: Schön, dass ich es endlich weiß.
CHRISTA: Du musst doch zugeben, dass ihr nichts erreicht habt. Du siehst ja: die Nazis kommen wieder. 68! Großer Gott! Gesteh dir endlich ein! Was für eine Illusion!
GEORG: Warum prügelst du auf mich ein?
CHRISTA: Das will ich doch gar nicht. Ich will, dass du endlich einsiehst: Den Menschen zum Guten ändern, das können nur die Höheren Wesen. Und das geht nur über eine Katastrophe.
GEORG: Ich bin müde. Ich will ins Bett!
CHRISTA: Nun reiß dich zusammen! Du verbreitest negative Energie.
GEORG: Immerhin, das wäre noch Energie.
CHRISTA: Georg! Es ist mein Geburtstag.
GEORG: Man sollte nur noch Kindergeburtstage feiern.
CHRISTA: Das sieht dir ähnlich... Leg endlich die Mütze weg.
GEORG: Ich hatte sie einem Polizisten vom Kopf gerissen. Du warst dabei. Er rannte hinter mir her, so ein kleiner Dicker, er schwang seinen Knüppel wie eine Fahne... (hält ihr die Mütze hin) Willst du sie haben?
CHRISTA: Was soll ich damit? Weg damit! Die muss ja total verdreckt sein, so alt ist sie.
GEORG (legt die Mütze in die Schublade zurück): Hätt ich die nicht, dann wüsste ich gar nicht, dass es da mal was gab..
CHRISTA: Also weißt du... Lass endlich die Vergangenheit! Glaub an die Zukunft! Glaub an die Außerirdischen!
GEORG: O Gott!
CHRISTA: Was ist?
GEORG: Mir dreht sich alles... Na, lassen wir das. (knipst das Licht an) Das ist doch wahrhaftig schon wie abends.
(LARS, KLAUS und SARAH kommen aus dem Garten.)
8
SARAH: Es regnet, wie ärgerlich.
LARS: Damit ist das Grillen ins Wasser gefallen.
KLAUS (mit der Schüssel voll Fleisch): Die Steaks jedenfalls sind gerettet. Man kann sie ja in der Pfanne braten.
SARAH: Genau. Ich mach das.
CHRISTA: Nein, bleibt. Ich will das nicht, keiner darf weggehen. Bleiben wir zusammen.
SARAH: Aber ich geh doch nur in die Küche.
CHRISTA: Nein! Du bleibst! Seht ihr denn nicht, was da geschieht? An meinem Geburtstag? Das hat doch seinen Grund!
GEORG: Nicht aufregen, Schatz, nicht aufregen. (setzt sich neben sie, umarmt sie)
SARAH: Es regnet doch nur.
LARS: Sie ist allergisch gegen Wasser. Eine neue Krankheit.
KLAUS: Na, so wie es jetzt gießt, könnte man wirklich meinen, es ist die Sintflut.
SARAH: Lass das!
KLAUS: Ich hab doch nur...
LARS: Du schüttest Öl ins Feuer, lieber Klaus.
CHRISTA: Macht das Licht aus! Sofort! (GEORG knipst das Licht aus) Seid mal still, ganz still...(Regengeprassel) Hört ihr? Und ich sage euch, es wird noch schlimmer.
LARS: Es ist der Anfang, was?
CHRISTA: Keine Angst. Ich habe vorgesorgt. (Es donnert.)
SARAH: Was war das?
GEORG: Es hat gedonnert.
LARS: Nee, die Amis, sie bomben.
CHRISTA: Spürt ihr die Energie?
KLAUS: Die Luft ist elektrisch geladen. Ist immer so vor einem Gewitter.
LARS: Ja, wir werden gleich eins erleben, und was für eins.
SARAH: Macht doch das Licht an!
CHRISTA: Nein! Lass das. Ich kann jetzt besser sehen.. Seht ihr das?
SARAH: Was?
CHRISTA: Um jeden von euch ist eine Aura. Ein blaues Licht..
LARS: Blaulicht! Wer von euch hat die Polizei alarmiert?
GEORG: Halt den Mund!
CHRISTA: Das ist ein Zeichen... Ihr müsst jetzt tun, was ich sage. Da.. seht! Es fließt schon die Scheiben herab..
LARS: Na, wen rufen wir jetzt an? Rettungsschwimmer oder Notarzt? Was meint ihr?
SARAH: Ein Wolkenbruch, Ma.
GEORG: Jetzt beruhigt euch mal alle.. Ich mach erst mal Licht. (knipst das Licht an) Entschuldige, Christa, aber wir können im Dunkeln nicht sehen. Und vielleicht siehst auch du jetzt, dass es sich nur um starken Regen handelt.
CHRISTA: Natürlich ist es starker Regen. Wie sollte die Flut denn sonst aussehen? Macht euch fertig, nehmt euer Liebstes mit, alles andere ist schon an Bord.
LARS: Jetzt kommt’s.
CHRISTA: Einmal mir glauben, nur einmal.. Ist das so schwer? Ich habe euch nie belogen.
GEORG: Nein, aber du könntest dich doch irren!
CHRISTA: Woher willst du das wissen?
LARS: Es steht nicht im Wetterbericht.
CHRISTA: Dem glaubt ihr? Und mir nicht? Also gut. Setzt euch. Ja, setzt euch! Alle! Wir bleiben so lange sitzen, bis das Wasser durch die Tür kommt. Dann werdet ihr sehen.
KLAUS: Schalten wir das Fernsehen an. Sie werden uns sagen, was los ist.
CHRISTA: Sie werden es nicht wissen, woher denn. (Das Licht geht aus)
GEORG: Wer hat das Licht ausgemacht?
SARAH: Keiner.
LARS: Ich sagte ja: die Amis.
KLAUS: Ein Blitz ist eingeschlagen.
CHRISTA: Seht ihr! Es geht alles nach Plan. Und ganz natürlich.
GEORG: Macht noch ein paar Kerzen an.
SARAH: Ja, das ist romantisch..
CHRISTA: Für Romantik ist jetzt keine Zeit.
KLAUS: Bestimmt kommt der Strom gleich wieder.
CHRISTA (lacht)
GEORG: Wieso lachst du?
CHRISTA: Strom! Das ist doch bloß ein anderes Wort für Flut.. Oder? Nun denn, warten wir. Es ist dunkel. Fürchtet ihr euch? Diese Dunkelheit ist nichts gegen die Dunkelheit, die kommen wird. Es ist die Zukunft der Menschheit!
SARAH: Also weißt du, was für ein Wort..
LARS: Da muss ich ihr Recht geben. Aber diese Dunkelheit ist ja längst da. Ich war fünfe oder sechse, da habt ihr mir das Buch Struwwelpeter weggenommen, zu brutal, würde mir Angst machen und was weiß ich.. Aber ich fand es toll, besonders die Geschichte vom Hans Guck in die Luft. Ja, und heute denk ich: das seid ihr! Immer guck in die Luft! Die Sterne! Oder sonst was Höheres... Die eine guckt nach den Außerirdischen und der andere hängt an einer Idee, die schon verfault ist.. Und so ist die Dunkelheit bloß eine besondere Art von Blindheit.. Ich sehe, was die Erde zu bieten hat, und das nehme ich...Geht sie unter? Ich sag euch was. Die Erde ist so klug und rettet sich selbst und wenn sie uns dabei wegputzen muss. Und so lange lebe ich! Und daran hindert mich keiner!
GEORG: Na großartig, darauf wollen wir einen trinken!
CHRISTA: Nein, das ist jetzt ernst, Georg. Lass mich darauf antworten. Ja, du hast Recht, Lars, wir schauen nach oben. Wir streben nach Höherem! Das tun wir Menschen seit Jahrtausenden! Und warum? Weil wir mehr sind als Tiere! Aber da gibt es welche, die wollen Tiere sein! Sie töten, sie quälen, sie zerstören! Siehst du das nicht? Die Leichen der Kinder und Frauen nach einer Bombenexplosion, die Flüchtlinge, die ertrinken? Die Terroristen, die Menschen erschießen? Die Häuser anzünden? Das geschieht auf diesem Planeten! Vor euren Augen! Oder muss erst Blut vom Himmel regnen?
GEORG: Das ist nicht dein Stil, Chris.
CHRISTA: Wie soll ich es sonst sagen?
GEORG: Vielleicht so...Terroristen haben nur Blut und Hoden im Kopf.. Vergiss sie..
CHRISTA: Ein albernes Wortspiel! Georg! Die Menschheit steht am Abgrund!
GEORG: Ach Gott. Das dachte ich auch mal.
SARAH: Bitte, wollen wir jetzt wieder vernünftig werden?
LARS: Wenn du weißt, wie das geht, dann machen wir ein Geschäft daraus.
CHRISTA: O Gott, niemand versteht mich.. Keiner! Ich frage mich manchmal: Kennen wir uns?
KLAUS: Doch, doch, wir verstehen Sie ja. Wer hätte heute keine Angst!
CHRISTA: Aber ich habe doch gar keine Angst! Es tut bloß weh. Keiner hört auf mich.
GEORG: Ich tu es.
CHRISTA: Ja, mein Lieber, und Dank dafür.. Etwas greift um sich. Etwas Schreckliches.. Und ich sehe auch, dass ihr Angst habt. Nicht ich habe Angst, ihr habt Angst! Warum gebt ihr es nicht zu? Seid unbesorgt! Wenn die Flut kommt, steigen wir alle ins Boot..... ... Da! Da! Hört ihr? (lauscht) Wie es rauscht.. Es kommt näher…
LARS: Regen, es ist bloß Regen ..
KLAUS: Ich muss eurer Mutter Recht geben. Gier, Hass und Gewalt nehmen zu, ohne Zweifel.
LARS: Na und? Gewalt, die gab's doch schon immer. Schaut in die Geschichte! Männer hatten schon immer nur Blut und Hoden im Kopf!
GEORG: Was redest du für einen Scheiß!
LARS: Bitte, wer hat das vorhin gesagt?
CHRISTA: Hört auf! Keinen Streit! Jeden Moment kann es passieren!
SARAH: Also Ma, wenn wir keine Angst hatten, jetzt haben wir Angst!
CHRISTA: Aber nicht doch, mein Kleines. Du wirst ja gerettet. Wir alle werden gerettet! Es geschieht noch heute! Ich spür es, ja, ich spür es ganz deutlich... Es brennt in meiner Seele! Die höheren Wesen sind schon ganz nah.. Beeilt euch, ihr Guten! Ihr Himmlischen, beeilt euch!.. Das Warten.. o Gott...Das Warten strengt so an! (Sie sinkt zusammen, GEORG fängt sie auf)
LARS: Wenn ihr jetzt nicht kapiert, was mit ihr los ist, dann ist euch nicht mehr zu helfen!
SARAH: Paps.. Wirklich. So heftig war es noch nie. (CHRISTA kommt zu sich)
GEORG (zu Christa): Geht es dir wieder gut?
CHRISTA: Wasser.. Einen Schluck Wasser.
LARS: Wasser.. Wenn das kein Witz ist..
KLAUS: Wo? (schaut sich suchend um)
GEORG: Dort! Auf der Kommode! Die Karaffe. (KLAUS geht zur Kommode, füllt ein Glas mit Wasser)
GEORG (zu Christa): Wie fühlst du dich? (KLAUS reicht ihr ein Glas Wasser, sie trinkt einen Schluck, gibt das Glas zurück)
CHRISTA: Ich weiß nicht ..Ich wurde berührt. Es war nur eine ganz kleine Berührung.. Ist die Flut noch nicht da? (sieht zur Tür) Gleich kommt sie, ihr werdet es sehen... Legt mir eine Decke über die Knie, mir ist kalt. (GEORG tut es)
LARS: Also ehrlich.. Wie kann man sich vor einer Flut fürchten, dafür gibt es die Kanalisation.
KLAUS: Hör auf zu witzeln, Lars.
LARS: Halt du dich raus, du gehörst nicht zu uns.
CHRISTA: Aber natürlich gehört er zu uns. Und jetzt seid still. Jeden Moment ist es so weit. Dann haben wir nicht mehr viel Zeit. Dann muss alles schnell gehen.
LARS: Wir selbst bestehen hauptsächlich aus Wasser. Also freut euch!
GEORG: Halt die Klappe!
LARS: Nein! Und jetzt sag ich's mal deutlich. Sie ist krank. Verdammt, warum muss denn immer ich die Scheißwahrheit sagen? Was kuckt ihr so blöd?
GEORG: Wieder die Nase gepudert, was? Pass nur auf! Gleich blutet sie!
LARS: Dann hau doch zu!
CHRISTA: Aufhören! Bitte.. (zu LARS) So, du meinst also, ich bin verrückt.
LARS: Hab ich das nicht deutlich gesagt?
SARAH: Unsinn. Er hat das nicht so gemeint.
KURT: Er meinte wahrscheinlich, das Wetter ist verrückt.
LARS: Nein, verdammt, meinte ich nicht. Sie ist verrückt.
GEORG: Damit das klar ist. Du spielst hier den Verrückten!
CHRISTA: Bitte hört auf.. Lasst ihn! Natürlich hat er gesagt, ich bin verrückt. Aber das macht nichts, das denken ja alle und ich weiß, ihr denkt es auch. Aber das ändert nichts daran, ich bin genau so ein Mensch wie ihr.. Sieh mich an, Lars! Ich muss dich jetzt etwas fragen. Ja, ich bin verrückt. Ich kann ja in deinen Augen gar nicht anders sein. Aber, nicht wahr, du liebst mich doch? Denn das erwarte ich von einem Menschen, er muss jeden Menschen lieben können, auch den verrückten.. Lars, vergiss, dass ich deine Mutter bin. Ein verrückter Mensch bleibt doch immer ein Mensch... Also sag: Kannst du ihn lieben? Kannst du das?
SARAH: Wie soll das gehn?.
KURT: Vielleicht sagen wir statt "verrückt " besser: ein Mensch, der anders ist. Oder der uns fremd ist.
CHRISTA: Ach was, redet nicht herum, ihr würdet ihn doch einen Verrückten nennen. Ja, ich weiß, ich verlange das Äußerste. Meine Kinder! Ihr seid die Zukunft, und ihr müsst jede Art von Mensch lieben können, sonst ändert sich nichts und alles bleibt so schlecht wie es ist.! Also antwortet! Lars zuerst.
LARS: Zum Teufel noch mal.. Was soll denn das schon wieder? Zukunft? Liebe?
SARAH: Ich sage: Ja.
GEORG (zu Lars): Los, du auch. Sag "ja"!
CHRISTA: Lasst ihm Zeit. Er soll ehrlich antworten..
LARS: Das tu ich immer. Viel besser als ihr... Liebe! Was für ein Blödsinn. Die gibt es schon lange nicht mehr. Da lach ich aber.. Sex ja, aber Liebe? (Sein Smartphone klingelt, er holt es aus der Tasche)
GEORG: Lass das. (LARS spricht leise hinein) Beantworte die Frage! (LARS spricht weiter. GEORG reißt ihm das Smartphone aus der Hand)
LARS: Gib's zurück! (will GEORG das Smartphone entreißen)
GEORG: Erst die Antwort. Sag „ja“!
LARS: Ich hab geantwortet
GEORG (geht auf ihn zu): Ich hab dich noch nie verprügelt, jetzt sollst du's erleben.
LARS: Ich spüre hier schlechte Schwingungen.
SARAH: Paps! (Der bleibt stehen.)
LARS (will das Smartphone seinem Vater entreißen, der schmeißt es zu Boden, es zerbricht) Du Blödmann, du verdammter!
SARAH (reicht ihm ihr Smartphone): Nimm meins. (LARS nimmt es, geht weg, spricht schließlich heftig hinein)
GEORG (schreit): Man sollte dich totschlagen, du Wichser!.
CHRISTA: Was war das? Wer schrie da?
GEORG: Niemand. Schon gut, es ist alles gut.
CHRISTA: Ich hab es doch gehört....
SARAH: Niemand hat geschrien, Ma, wirklich nicht. Setz dich, bitte..
LARS (kommt zurück): Nur weiter so. Lügt euch in Teufels Küche.
KLAUS: Kann ich irgendwie helfen?
SARAH: Wo sind ihre Tabletten?
GEORG: Ich geh schon, ich hol sie.
CHRISTA: Nein! Bleib! Lauf nicht davon! Hört ihr? (Sie lauschen. Es gießt. Sie steht auf) Es ist keine Zeit mehr. Die Welle kommt.
SARAH: Aber Ma, es regnet bloß!
LARS: Ja, genau. Und jetzt gehn wir. Komm, Sarah. (Der Regen wird lauter.)
SARAH: Aber hör doch mal..
CHRISTA: Greift, was euch lieb ist, Bücher, Fotos.. Füllt eine Tasche, aber macht schnell.
GEORG (schreit): Hör auf!
SARAH (lauscht): Und ich hab keinen Regenschirm..
LARS (geht zur Kommode, setzt den Hut auf): Ich hab immerhin was auf dem Kopf. (gibt SARAH das Smartphone zurück) Danke dir. Also denn: Tschüss. Ich gehe.
CHRISTA: Wohin? Georg! Halt ihn zurück, um Himmelswillen...
SARAH: Ja.. Wir müssen auch. Klaus hat noch einen Termin.
CHRISTA: Nein, ihr dürft nicht gehen! Draußen ist der Untergang!
KLAUS: Nein, hab ich nicht.
CHRISTA: Draußen ist der Tod!
SARAH: Doch!
KLAUS: Deine Mutter hat Geburtstag!
LARS: Er schleimt sich ein.
KLAUS: Ich bleib noch. Ich warte, bis der Regen vorbei ist.
GEORG: Schluss jetzt! Haut ab! Alle! Verschwindet!
CHRISTA: Nein! Nein! Was sagst du da.. (stellt sich vor den Hauseingang) Ihr geht ins Boot! Sofort!
SARAH: Aber du siehst doch .. Das Wasser ist noch nicht mal hier, der Boden ist ganz trocken!
CHRISTA: Es wird steigen. Schneller und schneller.
SARAH: Das glaub ich nicht.
CHRISTA: Noah hat man auch nicht geglaubt.
LARS: Komm, Sarah.. Hier wird's nicht besser.
GEORG: Ja, lass sie endlich gehn, Christa. Dann ist wenigstens Ruh!
CHRISTA: Halt! Wartet! Moment! Nur einen Augenblick! Ihr könnt gehen, aber.. Ich.. Ich hab euch was vorbereitet, euren Saft, ihr wisst schon.. Ihr müsst ihn noch trinken! Wartet!.. (ab ins Haus)
9
GEORG: Trinkt den Saft, dann geht, um Himmels willen, geht endlich..
LARS: Ihr verdammter Saft.. Das ist das letzte Mal. Ich bin kein Kind mehr. Wann kapiert sie das endlich?
GEORG: Und wann kapierst du endlich, dass du immer ihr Kind bleibst?.. Warum hast du geschwiegen? Hätte dich eine kleine Lüge ruiniert?
LARS: Mich hättest du beinah ruiniert.. Ich musste für einen Kunden seine Einlage retten... über 5 Millionen!
SARAH: Und? Ist es dir gelungen?
LARS (lacht): Ich hab sogar 30 000 Gewinn gemacht.
SARAH: Wie schön ... Gott, bin ich müde. (KLAUS nimmt sie in den Arm)
GEORG (zu KLAUS): Ich muss mich entschuldigen. Ich glaube, ich bin an allem schuld.
KLAUS: Sie haben es schon richtig gemacht.
LARS: Sieh mal an, Sarah.. Dein Freund hat die Seiten gewechselt.
SARAH: Wovon redest du? Ich glaube auch, dass Vater richtig gehandelt hat.
LARS: Na, dann ist ja alles gut.
(CHRISTA kommt mit zwei Gläsern)
CHRISTA: O meine Lieben, trinkt, trinkt.. Es ist für eure Gesundheit.
LARS: Wir sind doch keine sechs mehr.
SARAH: Na los, tu ihr den Gefallen. (beide trinken) Du meine Güte, wie das schmeckt.
LARS: Wie Katzenpisse. Pfui Teufel.
SARAH: Was hast du da reingetan?
CHRISTA: Nur Gutes.. zu euerm Schutz.. (lauscht, es rauscht) Es hört nicht auf, es hört nicht auf..
SARAH: Bis zum Auto werden wir pitschnass. Ihr müsst uns einen Schirm leihen.. Mir wird schwindlig.. Nanu .. Ich muss mich setzen.. (setzt sich aufs Sofa)
LARS: So was.. Ich auch. (setzt sich auf einen Stuhl) Was hat sie denn diesmal für ein Hexenkraut untergemischt? Ich... (kippt zur Seite, rutscht vom Stuhl, SARAH sinkt aufs Sofa)
GEORG (starrt auf die Ohnmächtigen): Was ist mit ihnen?
CHRISTA: Sie wären davongelaufen. Die Dummchen! Sie wären in ihr Unglück gelaufen.
GEORG: Was? Was sagst du?
CHRISTA: Ja, sie hören einfach nicht.
GEORG: Was hast du gemacht?
CHRISTA: Hilf mir! Wir müssen sie ins Boot tragen. (versucht LARS zu heben) Nun hilf mir doch.. Ich schaff’s nicht!
GEORG (reißt sie weg, sieht ihr ins Gesicht): Was hast du in den Saft getan? Was? Sag es! Sofort!
CHRISTA: Reg dich nicht auf. Du musst jetzt die Nerven behalten, wir haben noch einiges zu tun.. Es sind nur Schlaftabletten... Meine Schlaftabletten. Ich brauch sie nicht mehr. Siehst du, und jetzt rette ich damit unsere Kinder.
GEORG: Wie viele waren es.. Wie viele?
CHRISTA: Was „wie viele“?
GEORG: Tabletten.
CHRISTA: Ich weiß nicht. Ich glaube alle..
KLAUS (leise): Ich ruf den Notarzt. (geht beiseite, holt sein Smartphone heraus, spricht leise hinein)
CHRISTA (zu GEORG): Wir tragen sie jetzt ins Boot. Einen nach dem andern. Zuerst Sarah. Ich schaff es nicht.. Du musst mir helfen!
KLAUS (leise zu GEORG): Sie muss hier weg.
CHRISTA: Keine Angst, Klaus. Wir nehmen Sie selbstverständlich mit.
KLAUS: Vielen Dank.. Aber haben Sie auch Proviant für mich?
GEORG: Richtig. Christa, wir müssen noch was für ihn einpacken.. Komm, das machen wir gleich.
KLAUS: Und ich bring Ihre Kinder ins Boot.
CHRISTA: Schaffen Sie das?
KLAUS: Aber sicher.
CHRISTA: Sie sind ein guter Mensch. Welch ein Glück, nicht wahr, Georg?
GEORG: Ja, Liebes. (Beide ab)
Blackout
10
(GEORG und KLAUS, beide sitzend)
KLAUS. Machen Sie sich keine Sorgen mehr. Sie sind jetzt in Sicherheit.
GEORG: Wer?
KLAUS: Lars und Sarah, Ihre Kinder. Sie sind im Krankenhaus. Man wird ihnen den Magen auspumpen.
GEORG: Ja.
KLAUS: Wie haben Sie das geschafft?
GEORG: Was?
KLAUS: Das mit Ihrer Frau. Ich hatte schon befürchtet, sie würde plötzlich auftauchen. Wer weiß, was dann passiert wäre.
GEORG: Ja.
KLAUS: Wo war sie die ganze Zeit?
GEORG: Im Bett.
KLAUS: Tatsächlich?
GEORG: Ja. Sie schläft.
KLAUS: Sie legte sich hin und schlief sofort ein?
GEORG: Mit einer Schlafspritze.
KLAUS: Mit Gewalt?
GEORG: Hören Sie auf, mir Fragen zu stellen. (Pause) Ein Notfall. Das haben Sie doch gesehen. Es war nicht das erste Mal. (Pause) Sie kann sich so entsetzlich hinein steigern. Widerspruch macht es nur schlimmer. Am besten stimmt man ihr zu. Und was soll's. Gott oder Außerirdische.. Sind doch nur Worte für dasselbe, nicht wahr..
KLAUS: Ich weiß nicht..
GEORG: Ich weiß nicht.. Ja, was wissen wir eigentlich.. Woher kommt die Angst? Und warum vor Menschen? Sie ging schon nicht mehr aus dem Haus. Ich sag Ihnen was. Sie hat Recht. Im Menschen steckt was. Ein Ungeheuer. Eine Bestie. Diese Bestie gehört gekillt.
KLAUS: Wollen Sie alle Menschen umbringen?
GEORG: Sind wir nicht schon dabei? Ich hätte ihn wirklich totschlagen können. Diesen Kerl mit dem Smartphone...Im übrigen, reden wir lieber von meiner Frau. Eine starke Frau. Eine Kämpferin. Ja, sie kämpfte. Selbst auf verlorenem Posten.
KLAUS: Sie sprechen in der Vergangenheit...
GEORG: Wovon sonst. Zukunft? Keine Sorge, es geht ihr gut. (Pause) Sie sind geblieben. Was hielt Sie? Der Regen? Wirklich?
KLAUS: Reine Neugier.
GEORG: Sie sind wenigstens ehrlich.
KLAUS: Eine Schwäche von mir. Um ganz ehrlich zu sein. Es war mir peinlich, es sah nach Flucht aus.
GEORG: Das war es.
KLAUS: Und .. ja.. Ich hoffte, irgendetwas tun zu können.
GEORG: Sinnlos. Versuchen Sie mal einen heran rasenden Zug aufzuhalten.
KLAUS: Sitzen wir nicht alle in dem Zug?
GEORG: Eben. (Pause).
KLAUS: Ich verstehe Ihren Pessimismus.. Sie haben den Eindruck, die Menschheit macht einen Rückschritt, aber es ist nur, um Anlauf zu nehmen, um Kraft zu sammeln. Und dann macht sie einen Sprung.. einen Quantensprung.. So seh ich das..
GEORG: So sehen Sie das, interessant. (Pause) Haben auch Sie manchmal das Gefühl, Ihr Gesicht löst sich und fliegt davon wie eine Maske? Und es bleibt etwas Gesichtsloses zurück.
KLAUS: Nein.
GEORG: Mir geht so viel durch den Kopf, zu viel.. Und jetzt? Was passiert jetzt?
KLAUS: Das wissen Sie doch. Die Polizei wird kommen. Sie kommt immer in solchen Fällen.
GEORG: Ja. Richtig.
KLAUS: Was werden Sie sagen?
GEORG: Nichts.
KLAUS: Ihre Kinder werden es sagen.
GEORG: Ja.
KLAUS: Ich bin sicher, es gibt keine Anklage. Aber Ihre Frau kommt in eine Klinik.
GEORG: Das erlaube ich nicht.
KLAUS: Sie werden es müssen.
GEORG: Quatsch. (Pause)
KLAUS: Ich gehöre zu denen, die nie die Hoffnung aufgeben.
GEORG: Das hat was für sich.
KLAUS: Was halten Sie davon, wenn wir sagen: Ihre Kinder haben das selbst getan. Hielten die Pillen für eine Partydroge. Ich würde es bezeugen. Und ich bin sicher, Ihre Kinder würden das akzeptieren.
GEORG: Ja, vor der Polizei. Nicht vor mir.
KLAUS: Das können Sie hinnehmen.
GEORG: Und dann werden sie erst recht darauf bestehen, dass sie in eine Klinik kommt.
KLAUS: Das ist wahr...
GEORG: Und wenn... Was wird besser dadurch? Wir rutschen immer tiefer in die Scheiße.
KLAUS: Glauben Sie an Gott! Hoffen Sie!
GEORG: Ich sag Ihnen was. Nicht wir machen die Zeiten. Da ist ein Teufel am Werk.
(Plötzlich taucht aus dem Schatten ein Polizist auf in der Uniform der 70er Jahre)
GEORG: Da ist er schon.
KLAUS: Wer?
GEORG: Gott oder Teufel... Mal sehn.. (zum POLIZISTEN) Sie wünschen?
KLAUS: Ich sehe nichts.
GEORG (zum POLIZISTEN): Er sieht Sie nicht.
POLIZIST: Er kennt mich nicht. Übrigens, ich bin weder Gott noch Teufel, ich bin bloß Polizist... Sagen Sie, was stimmt nicht bei mir?
GEORG: Die Uniform, Sie Spaßvogel. Ihr Kostüm ist veraltet.
POLIZIST: Sehn Sie auf meinen Kopf.
GEORG: Die Mütze! Ihnen fehlt die Mütze...Ach, Sie sind das.. Na so was.. Setzen Sie sich. Reden wir von alten Zeiten.
POLIZIST: Das ist nicht mein Auftrag.
GEORG: Und der lautet?
POLIZIST: Die Mütze!
GEORG: Richtig! Natürlich! Ordnung muss sein, was? Da in der Kommode, zweite Schublade von oben. (POLIZIST holt sich die Mütze, setzt sie sich auf) Toll. Sitzt immer noch.
POLIZIST: Natürlich. (will abgehen)
GEORG: Moment.. Müssen Sie mich nicht verhaften? Wegen Aufruhr? Staatsgefährdung?
POLIZIST: Davon war nie die Rede. (ab, Stille)
KLAUS: Verzeihen Sie.. Mit wem haben Sie gerade gesprochen?
GEORG: Mit einem alten Bekannten. Kommt nach 40 Jahren und kassiert seine Mütze!
KLAUS: Wer?
GEORG: Der Bulle, dem ich sie geklaut habe.. Hab ihm den Kopfputz zurück gegeben.
KLAUS: Sie haben die Mütze bis heute aufbewahrt? Wo?
GEORG: Dort, in der Schublade.. Machte mit dem Ding meinen Jux ... dann und wann..
KLAUS (geht zur Kommode): Wo?
GEORG: Zweite Schublade von oben.
KLAUS (zieht die Schublade auf, holt die Mütze heraus). Die?
GEORG: Unmöglich! Das kann nicht sein!
KLAUS: Sie haben geträumt. Wir sind beide übermüdet (legt die Mütze zurück, setzt sich wieder. Pause). Es hat aufgehört.
GEORG: Was?
KLAUS: Der Regen.
GEORG (nach einer Pause): Wissen Sie, so fest zu glauben, so unerschütterlich, das ist Gnade.. und Glück..
KLAUS: Haben Sie nicht so in der Jugend geglaubt? Also bitte... Knüpfen Sie dort an!
GEORG: Himmel noch mal, was reden Sie für ein dummes Zeug. Uns ging es damals um die Rettung der Menschheit! Was für ein Blödsinn. Die Menschheit hat keine Rettung nötig, sie übersteht alles. Aber wer rettet den Menschen? Ja, wir haben gelebt, jeden Tag.. Und wissen Sie was: Es war ein gutes Leben. Das Leuchten des Himmels, der Pulsschlag, Gong in jeder Hautzelle.. Das Atmen des Waldes, geheimnisvoll und vertraut..Wir brauchten die Dinge nicht, wir hatten das Leben. Und dann.. Etwas zeigte sich. Keine Wasserflut! Bloß ein Schatten.. Und wissen Sie was? Es ist unser eigener Schatten. Wir hatten ihn glatt vergessen. Jetzt ist er da. Eigentlich war er immer da. Aber jetzt ist er uns ganz nah. Er nagt an uns, er frisst uns auf. Spüren Sie etwa nicht, wie alles kleiner wird? Wie Ihr Leben Stück für Stück verschwindet?
KLAUS: Nein. Kann ich nicht sagen. Im Gegenteil.
GEORG: Na prächtig. Also.. Was soll ich tun?
KLAUS: Sie wollen einen Rat von mir? Dem Jüngeren?
GEORG: Es ist kein anderer da.
KLAUS: Gut. Lassen Sie los. Übergeben Sie Ihren Kindern die Verantwortung.
GEORG: Genial. (Es klingelt. Pause)
KLAUS: Das werden sie sein.
GEORG: Wer?
KLAUS: Die Polizei.
GEORG: Ich mach nicht auf.
KLAUS: Das ist keine Lösung. (Es klingelt wieder. GEORG zieht sich die Schuhe aus) Was tun Sie da?
GEORG: Zieh mir die Schuhe aus... Sie drücken... Sagen Sie.. Wenn die Flut kommt, wie werden Sie sich retten? (Es klingelt. Er steht auf.) Machen Sie auf.. Ich hab zu tun. (geht in Socken ab)
(KLAUS sieht ihm verblüfft nach. Er steht auf, um zu öffnen. Es fällt ein Schuss. Erschrocken bleibt er stehen, lauscht. Es fällt ein zweiter Schuss.)
Blackout / ENDE