Er hatte ein verschwitztes Gesicht, auf seinem schwarzen T-Shirt prangte das gelbe BVB-Emblem. Seit er mir gegenüber Platz genommen hatte, lächelte er mich an. Plötzlich sagte er:
„Russe?“
Ich schwieg verblüfft.
„Klar biste Russe. Buschige Brauen, stahlgraue Augen und so weiter. Verstehste Deutsch?"
Ich nickte.
„Na klar. Wir sind ja Brüder.. Hier!“ Er schielte an sich herunter, dann drückte er den Finger ins Emblem und sagte: „Kennste doch. BVB! Der Verein! Borussia Dortmund. Das musste doch
wissen! Und was steht da? Bo-Russ-i-a“, er betonte Silbe für Silbe.. „Und das heißt auf Russisch Russland, das weißte ja selber. Den Verein habt ihr gegründet, in Dortmund. Vor hundert Jahren
oder so.“ Er beugte sich vor. Alkoholdunst streifte mich. „Wir sind verwandt. Und das hat nen Grund. Wir beide stehn nämlich ganz oben auf der Genleiter.“
Er schien zu bemerken, dass ich ihm nicht folgen konnte.
„Mann, diie. Genleiter! Wie die auf Russisch heißt, weiß ich nicht. Ich erklär's dir. Da ist der Mensch hochgeklettert in Millionen Jahren.. Und wir sind ganz oben, an der Spitze. Unten sind die
Ausländer und so weiter.“ Er seufzte. „Da kannste nichts machen. Ist ein Naturgesetz.. Außerdem musste bio sein. Biste doch... Oder?.“
Die S-Bahn bremste. Ich stand auf. Eine weibliche Lautsprecherstimme sagte: „Blankenfelde Endstation. Alle aussteigen, Reisende umsteigen zur Regionalbahn."
Er sah mich entgeistert an.
„Was ist los? Wo sind wir? Land Brandenburg?“
Ich nickte. Dann lachte er. „Bin ich doch glatt auf der falschen Seite eingestiegen. Mann, ich wollte in die andere Richtung.“ Beim Aufstehen stützte er sich am Fenster.
„Bleib sitzen“, sagte ich, „die Bahn fährt in ein paar Minuten wieder zurück.“
Er plumpste auf den Sitz und sagte: „Denn iss ja jut." Er lächelte mich an. „Einwandfreies Deutsch. Echt Russe.“