Eigentlich wäre jetzt eine die Stimmung aufhellende Droge angebracht. Aber das half nicht. Er würde doch wieder in der Wirklichkeit erwachen und sich in einem neuen Tag der Langeweile befinden.
Es war so viel Größe und auch Schönheit in den alten Liebesgeschichten. Ein Mann gibt sein Leben für die Zuneigung einer Frau, oder beide sterben aus Sehnsucht und Liebe, wie Romeo und Julia, und Ännchen folgt dem Grafen überall nach, weil sie in ihm das Glück ihres Lebens sieht… Oder ein junge Mann wandelt mit einer schönen Frau und deren Ehemann durch einen Garten, er begehrt sie und weiß: nie kannst du Sex mit ihr haben. Werther, heißt die Geschichte, und sie endet mit einem Schuss.
Diese Liebesgeschichten, geschrieben vor langer Zeit, stimmten ihn melnacholisch. So, als hätte er etwas verpasst, aber was? Liebe war doch längst entlarvt als Aberglaube! Es war bloß Sex, damals, ein Begehren nach sexueller Befriedigung und, gewiss doch, das gibt es auch heute noch, es lässt sich sogar rufen, so oft und so viel man davon haben will, und es wird befriedigt, kein Problem, so geht es schließlich mit alle Bedürfnissen.
Doch sich für einen anderen Menschen opfern? Seine Existenz einer anderen Existenz unterstellen? Das ist Perversion, nichts weiter, eine Krankheit höchstens, die es zu heilen gilt.
Liebe war eine Illusion, aber offenbar machte die Illusion ein Leben damals aufregend und sogar lebenswert.
Und heute? Wie steht es heute ums Leben? Wenn man alles bekommt? Fast schon auf Knopfdruck?
Wer vom Leben genug hatte, für den gab es die Möglichkeit, ganz legal und mit allem Komfort aus dem Leben zu scheiden. Auf der Woge einer Droge dahintreiben in eine grenzenlose Ferne, in ein Rätsel versinken, das die Wissenschaft noch nicht lösen konnte und hoffentlich nie lösen würde, es nähme dem Menschen sonst das letzte Glück: Wer sind wir, wenn wir tot sind? Wo sind wir?
Zurück zurLiebe. So was Antiquiertes, Dummes! Unwissende Menschen waren das, die zu „lieben“ glaubten, wenn sie sich umarmten. Was für eine Blindheit!
Und doch: dass es das jetzt nicht mehr gab – die Liebe – das stimmte ihn traurig. Und freute ihn. Auch die Trauer freute ihn. Denn in dieser Traurigkeit war Sehnsucht und beides zusammen versetzte ihn in einen Rausch, in eine besondere Art von Seligkeit.
Und er dachte: So lang ich so schön traurig sein kann, bleib ich am Leben.
Und er begann den nächsten Liebesroman zu lesen, den er gerade bestellt hatte.