In der Vergangenheit nutzte die Wirtschaft die Bedürfnisse der Menschen: essen, trinken, wohnen, Sex, um das sogenannte Wachstum zu erzeugen. Den Menschen gefiel es, dennoch blieb ein Rest
Unzufriedenheit, doch diese versteckte und fortwährende Unzufriedenheit galt als natürlicher Antrieb für Ökonomie und Kultur.
Zur selben Zeit begann sich die Informatik zu beschleunigen, Computer mischten sich immer tiefer in das öffentliche und private Leben. Die virtuelle Welt entstand. Als schließlich das menschliche
Gehirn als Zentrale der Emotionen, Empfindungen und Lustgefühle enträtselt und erkannt wurde, dass Glücksgefühle und Befriedigungen Folgen elektronischen oder chemischer Einwirkung waren, nutzte
die Wirtschaft die Chance. Es entstand die virtuelle Welt. Durch das mit elektronischen Reizen simulierte Hirn erfüllte sie jeden Wunsch - gegen Bezahlung natürlich. Von diesem Zeitpunkt an war
Natursex nicht mehr „in“. Man genoss ihn elektronisch.
Das war wie ein Aufatmen, denn aus sexueller Verführung war längst sexueller Zwang geworden. An jedem Gegenstand haftete der Geruch des Sexes. Allem entströmte der Duft des Begehrens. Sex war das
herrschende Thema, Liebe war altmodisch und verschwand. Ja, das kann man bedauern, denn was unter dem Zeichen der Liebe in den früheren Jahrtausenden geschaffen wurde, ist beeindruckend. Für die
Liebe lebten die Menschen, oft starben sie dafür, und immer hinterließen sie eine kulturelle Leistung, sichtbar besonders in den
Kunstwerken. Aber letzten Endes war auch diese Liebe nur Natursex, animalischer Sex.
Heute, im 22. Jahrhundert, da es den Natursex nicht mehr gibt, gibt es zwar keine Leistungen mehr, zu denen die Menschen bewundernd aufblicken, aber wozu auch? Wir müssen uns nicht mehr
anstrengen, bekommen ja alles durch die Elektronik. Seltsam, dass es Menschen gibt, die das ablehnen, sich in die biologische Welt vor hundert Jahren zurücksehnen und in einer Naturkolonie
leben.
Eines Tages besuchte ich dort eine Frau. Mir war nicht an einer Befriedigung gelegen, mich reizte es, den Unterschied zwischen Natursex und dem elektronischen Sex zu erfahren. Das Verhalten der
Frau war interessant.
Ihr Blick glitt über meinen Körper, neugierig mit fast klinischem Interesse, was mich überraschte, denn ich hatte Triebhaftigkeit erwartet. Ihr Gesicht war gerötet, ihre Stirn glänzte und ich
dachte: Was geht dahinter vor? Überhaupt: was sieht mich jetzt an – denn jetzt sah sie mir in die Augen – das Sexualhormon? Wer war sie? Plötzlich wurde ihr Blick ganz weich und sie begann
sich leicht zu bewegen.
Später erinnerte ich mich immer wieder ihrer Augen. Sie schloss sie nicht. Und wenn ich mir auch sage, dass ihr Feuer vom Sexualhormon angefacht wurde, so leuchteten sie doch und sahen mich an,
währen die Augen der heutigen Menschen ein reines, kaltes Licht ausströmen und etwas sehen, was es in Wirklichkeit nicht gibt. Die Frau jedoch sah nur mich und nichts anderes mehr. Ich spürte
meine Wirklichkeit wie nie zuvor. Und das machte mich auf eine Weise glücklich, die ich am liebsten wiederholen würde. Aber ich weiß auch: daran würde ich wie an einem Rauschgift zugrunde
gehen.
Wozu auch, ich habe es doch nicht nötig. Was immer wir uns wünschen, unser Wunsch wird erfüllt. Mit weißen Gesichtern sind wir in Polstern und Kissen versunken, dann und wann machen unsere
Glieder Bewegungen, von denen wir nichts mitbekommen. Das abgenutzte Glück wird sich wie Asche in uns sammeln, bis unter die Stirn.
Wir haben unser Ziel erreicht. Aber ist es das richtige Ziel? Und wenn es das falsche ist: gibt es noch eine zweite Chance? Eine ferne Spinne im Zentrum des Netzes weiß die Antwort. Ja, wenn sie
sich zu erkennen gäbe und uns die Antwort verriete, wir würden ihre Krallen küssen, nicht als Zeichen der Unterwerfung, sondern aus Liebe.