Gerade ging ich mit einem Eimer Vogelfutter um die Hausecke zum Fliederbaum, das ist der Futterplatz der Vögel, da sah ich sie, direkt vor meinen Füßen, unter dem Fenster. Die Meise schlug
mit den Flügeln heftig auf die Erde, aber sie kam nicht hoch. Sie war gegen die Fensterscheibe geflogen. Sie hatte Glück gehabt, sie lebte noch.
Ich hob sie auf und brachte sie ins Haus uind setzte sie aufs Sofa.
Ich sah dem Vogel an, dass er mir etwas Entsetzliches sagen wollte, aber nicht konnte.
Der hat ein Trauma weg, dachte ich, wenn ihm jetzt keiner hilft, wird er nie mehr fliegen können.
Was würde jetzt ein Vogelflüsterer tun?
Gut zureden. Klar. Und das tat ich.
„Schon gut.", füsterte ich, "beruhige dich.. Du lebst, und das ist die Hauptsache. Und was dir gerade passiert ist, ist ganz normal. Usichtbare Wände gibt es überall. Sogar bei uns
Menschen. Ich zum Beispiel will seit Tagen, dass meine Frau einen Nusskuchen backt. Der schmeckt nämlich vorzüglich. Immer wieder bitt ich sie darm. Aber ich renn da gegen eine unsichtbare Wand.
Lass ich deswegen den Kopf hängen? Oder meine Flügel?“
Plötzlic flattert die Meise auf. Ich öffnete rasch das Fenster, sie machte eine Kurve und flog hinaus.
In diesem Moment trat meine Frau ins Zimmer. Ich beschloss, wie die Meise aufzufliegen und Kurs auf meinen Nusskuchen zu nehmen. Und sollte ich wieder gegen eine Wand stoßen, so würde ich diesmal
meiner Frau vor die Füße fallen.
Ich sagte: „Weißt du, ich back den Kuchen einfach selber.“
„Kommt nicht infrage“, herrschte sie mich an. „Mir die Küche durcheinander bringen!"
Ich überlegte, wie ich ohne größere Verletzungen vom Stuhl ihr vor die Füße falle.
Da fuhr sie fort: „Nein, das wär ja noch schöner. Den Kuchen back ich!“
Am Nachmittag saß ich am Fenster bei Kaffee und Kuchen und sah den Vögeln zu, wie sie unter dem Fliederbaum das Futter aufpickten. Auf einmal kam eine Meise angeflogen und setzte sich vor mir auf
den Fenstersims. Sie blinkte mit dem linken Auge, ich zwinkerte zurück, und dann flog sie hinunter zu den anderen Vögeln.
„Du hast wohl eine neue Freundin“, sagte meine Frau.
„Nein“, sagte ich, „das war eine Patientin von mir.“