Sigi Hirsch
Ich wohnte gerade mal zwei Wochen in Berlin-Friedenau, da traf ich G. Grass auf dem Wochenmarkt vor dem Rathaus in Friedenau. Der Wochenmarkt war nicht sehr groß, aber interessant. Unmittelbar gegenüber lag die Buchhandlung „Montanus“.
Auch die Niedstraße fing hier an. Ziemlich am Anfang wohnte Erich Kästner, wenn er in Berlin war, und in der Nr. 17 Günter Grass. Ich wohnte in der Handjerystr. 38, mir gegenüber Günther Herburger. Das war für mich die richtige angenehme literarische Umgebung für meine Zeitschrift „total“. Vorher wohnte ich bei meinem Redaktionsleiter Klaus M. Rarisch in Schöneberg, aber nur 14 Tage lang. Grass wohnte also bei mir um die Ecke. Die Bremer Nachrichten brachte damals einen Artikel über mich mit der Überschrift „total-hirsch teilt mit Grass die Mülltonne“, was natürlich nicht ganz stimmte.
Meine Zeitschrift hatte ich in Bremen gegründet und schon da war ich mit Künstlern und Schriftstellern bekannt. In einer Nummer hatte ich Popos abgedruckt, darauf weigerte sich die Post, das Heft als Drucksache zu verschicken. Die ZEIT schrieb: „Die anstößige Kehrseite“. Das war ein richtiger Medienrummel: Fernsehen, Radiosendungen, Zeitschriften, Zeitungen machten „total“ und mich bekannt.
Und so beschloss ich, in Berlin den total-hirsch verlag zu gründen. Die Gründung erfolgte im Europa-Center bei Jule Hammer. Man glaubt es kaum, aber es war so: Gunter Gabriel sang bei der Gründung kritische Lieder.
Aber nun wieder zurück zum Wochenmarkt in Friedenau. Ich sprach Grass an und fragte, ob ich ihm mal meine Zeitschrift „total“ vorbeibringen dürfe. Wir waren ja quasi Nachbarn.
„Hab schon gehört, was die Bremer Post gemacht hat. Wenn Sie wollen, kommen Sie um 17 Uhr mal vorbei gleich heute. Morgen bin ich weg für ein paar Tage.“
Wir schüttelten uns die Hände und verabschiedeten uns. Um ganz ehrlich zu sein: so richtig sympathisch fand ich ihn nicht, aber sein Ruhm beeindruckte mich schon.
Pünktlich um 17 Uhr stand ich vor seiner Tür und klingelte. Er ließ mich rein und wir gingen in ein rauchiges Arbeitszimmer und tranken Rotwein. Er redete wenig und ich umso mehr. Er war von Willy Brandt begeistert und überhaupt von der ganzen SPD. Aber er erzählte mir auch, dass Bestseller immer einen dunklen Vokal haben sollten und nannte gleich Beispiele: HUNDEJAHRE, Ulysses, Buddenbrooks und so weiter.
Nach einer knappen Stunde und drei Gläser trockenen Rotwein aus Frankreich ging ich gleich in meine Stammkneipe „Handjery Klause“, um dort ein paar Bierchen auf den Rotwein zu kippen. Ich war kein Weintrinker, bin es bis heute nicht, da bevorzuge ich das Bamberger FÄSSLA-Bier.
Bei der nächsten Redaktionskonferenz berichtete ich von meiner Begegnung mit Grass. Uwe Witt versprach, uns für die nächste Ausgabe eine „schöne“ Karikatur mit Grass und Brecht zu zeichnen, was dann auch geschah. Wir hatten die letzte Umschlagseite vorgesehen.
Als ich G. Grass die Doppelnummer „total“ 14/15 vorbeibrachte, bat er mich wieder herein und wir tranken wieder zwei-drei Gläser Rotwein. Bier schien er nicht zu haben. Erst nach einer guten Viertelstunde nahm er „total“ in die Hand, blätterte darin und war von den Autoren beeindruckt z.B.: Dadaist Richard Huelsenbeck, Dieter Hülsmannns, der die Eremitenpresse verlegte und herausgab, Kurt Morawietz und und und... Dann legte er die Zeitschrift wieder auf den Tisch und sah die Rückseite: G.Grass trommelt als Känguru auf den Kopf von Brecht. Der Titel: „Plebejer“, signiert von WITT.
„Noch nie von Uwe Witt gehört“, sagte er, obwohl Witt einen Namen als Karikaturist in Berlin hatte.
Er drehte die „total“ wieder um, damit man die Titelseite sah.
Als ich Herburger traf und ihm von dem Treffen erzählte, war sein kurzer Kommentar: „Naja, das ist halt der Grass.“
Und Erich Kästner erzählte mir, dass er Grass bis dato nie persönlich kennengelernt habe. Er wird seine Gründe gehabt haben.
Meine dritte und letzte Begegnung mit Grass war kurz und schmerzlos. Die Nummer 16 erschien in einer ziemlich hohen Auflage.
Wieder klingelte ich, ich wollte ihm meine neueste Ausgabe persönlich überreichen. Er machte auf, sah mich an und sagte trocken:„Kenne ich schon“ und schlug vor meiner Nase die Tür wieder zu.
In dieser Ausgabe erschien eine Collage von mir. Ein Bundeswehr-Bataillion, in der ich die gesamte Gruppe 47 hinein kopierte. Ganz vorne G.Grass und ganz hinten Peter Handke und all die anderen u.a. auch den Gründer der Gruppe 47 Hans Werner Richter.
Handke traf ich in den Achtzigern in Budapest vor einen Café sitzen. Wir kamen ins Gespräch und er bescheinigte mir, dass das prima war mit der Collage.
Auch Richter rechnete mit Grass in seiner Biografie ab.
Für mich war Grass immer ein elitärer Pinkel mit nicht einem Gramm Humor. Und dass ich in Bonn in seiner von der SPD geschenkten Eigentumswohnung kostenlos übernachten könnte, das war natürlich jetzt auch hin.
Aber darüber war ich ganz froh.
Aus 68 - Es gab nicht nur Demos