Das Haus stand dicht an der Straße im Schatten zweier Kastanienbäume.Es war rot gestrichen mit weiß umrandeten Fenstern und Ecken. Nie bewegten sich die Gardinen an den Fenstern, das gab dem
Grundstück den Zauber der Entrückung. Es schien, als wohne dort eine kleine Frau mit gestärkter Bluse und einem nach Lavendel duftendem Rock. Und sie droht mit dem Zeigefinger, wenn ihr Rock in
der Haustür klemmen bleibt: „Husch.. Wirst du wohl..“
„Das ist das Sterbehaus und drinnen wohnen die Jungs!“ sagte Gunnar und lächelte.
„Sterbehaus“, so bezeichnen die Schweden die Häuser , die zur Verteilung unter den Erben anstehen. Nach dem Tod ihres Vaters hatten die drei Brüder das Erbe nicht aufgeteilt, vielleicht um
Steuern zu sparen oder sie hatten es einfach vergessen. Geheiratet hatte keiner von ihnen. Alle im Dorf nannten sie „die Junges“mit einer Mischung aus Spott und Zärtlichkeit.
Als ich „die Jungs“ kennen lernte, waren sie schon Rentner: der älteste war 69, der zweite 67 und der jüngste 64.
Man sah sie nur zu dritt und immer im Gänsemarsch, wobei der Jüngste in der Mitte ging, so, als wollten die Älteren ihn beschützen. Er hatte etwas Kindliches an sich. Manchmal
blieb er plötzlich stehen und betrachtete aufmerksam etwas vor seinen Füßen oder an einem Baum. Er sah zum Himmel, wo Wolken in vielen Gestalten dahintrieben, und schien alles vergessen zu haben.
Seine Brüder warteten geduldig. Erst wenn er sich wieder zum Gehen wandte, marschierten sie weiter. Alle drei wirkten wie eine Patrouille, und angesichts ihrer ernsten Gesichter wäre ich
jederzeit bereit gewesen, unaufgefordert meinen Pass zu zeigen.
Sie besaßen einen großen Wald. Wenn sie Geld brauchten, fällten sie mit Axt und Motorsäge gut gewachsene Fichten. Das Sägewerk des Dorfes holte die Stämme ab. Im Frühjahr gingen sie mit
geschulterten Spaten in den Wald. Die Waldbauern in dieser Gegend müssen die Sumpfgräben regelmäßig von Bewuchs befreien, soll der Waldboden trocken bleiben.
Im Sommer saßen sie auf Küchenstühlen vor dem Haus. Sie trugen Overalls und auf ihren kantigen Köpfen grünweiße Baseballkappen. Sie beobachteten die Straße. Meistens war sie leer. Von Zeit zu
Zeit drehten sie ihre Köpf in die eine oder andere Richtung. Was sie wohl sahen? Die Geister der Wikinger? Oder die Menschen der Zukunft? War es vielleicht ihr Leben, das vorüber zog? Oder das
Gewimmel der Menschen in den Städten?
Ihre Augen blickten ruhig und zufrieden. Sobald in der Dämmerung die Straße weiß zu schimmern begann, nahm einer nach dem andern seinen Stuhl in die Hand und ging ins Haus.
Auf meiner Radtour machte ich gern einen kleinen Umweg und fuhr an ihnen vorbei. Ich rief: „Hej!“. Langsam hoben sie ihre schweren Bauernhände und ebenso langsam sanken sie auf die Schenkel
zurück.
Sie hatten den grünen Schatten der Kastanien im unbewegten Gesicht, es waren schwedische Buddhas, Buddhas auf Küchenstühlen.