Ich hatte mich gerade eingelebt, da verriet mir mein Freund Gunnar, beim Nachbarn befände sich Odins Grab. Der Nachbar, das war
der alte Oskar, ein ehemaliger Bootsbauer. Das Grundstück mit seiner Hütte war in Sichtweite vom Strandhem. Das rote Holzhäuschen stand auf einem kleinen Hügel mit Fichten und
Fliederbüschen. Um das Häuschen waren Feldsteine in der Form eines Schiffes gelegt, dessen Bug auf die etwa 200m entfernte weiße Dorfkirche zielte, als wolle das Schiff sie angreifen.
Über dem Hütteneingang hing ein Brett mit weißer, krakeliger Schrift: „Odins Borg“. Dass Oskar oft auf den Steinstufen vor der Hütte saß und die Kirche nicht aus den Augen ließ, lag
sicher daran,, dass dem fremden Gott da drüben nicht zu trauen war.
Aber jetzt zur Story. Die geht so. Vor ungefähr zehntausend Jahren – es können auch ein paar mehr sein – jedenfalls zur Zeit der
Riesen und Götter, gab es hier nichts anderes als Wald, Wiesen und nochmals Wald. Nirgendwo war ein See, überall nur schöner trockener Boden, ja, es hieß, der Himmel lege hier seinen
Regen bloß zum Trocknen hin. Odin, der Göttervater, liebte den Ort, aber besonders liebte er eine Menschenfrau mit goldenem Haar, sommersprossigem Gesicht und blauen Augen. Sie hieß
„Heidlund, die mit den großen“ Augen und war die Tochter eines Kleinbauern. Den Beinamen hatte sie aus einem simplen Grund, von dem man damals aufgrund medizinischer Rückständigkeit
nichts wissen konnte. Kam nämlich jemand zu Besuch, riss sie die Augen auf, nicht aus Begeisterung oder Freude, sie konnte einfach wegen ihrer Kurzsichtigkeit nicht erkennen, wer da in
die Kate trat.
Eines Tages, als der Göttervater mal wieder in Menschengestalt auf Wanderschaft war, beschloss er, auch Heidlund aufzusuchen. Als
er in die dämmrige Stube trat, wurden Heidlunds Augen groß, was ihn sofort entzückte. Unglücklicherweise hielt sie Odins Mantel für ein Frauenkleid. Als er ihre Taille umschlang, schrie
sie auf und wehrte sich, worauf ihr Vater hereinstürmte und den Eindringling mit seinem Schwert aus der Kate jagte. (Er war Wikinger, versteht sich.)
Odin jedoch gab nicht auf, ganz im Gegenteil, Heidlund erschien ihm reizvoller denn je. Offensichtlich handelte es sich bei ihr um
eine streng behütete und äußerst empfindliche Jungfrau. Er überlegte, wie er sie berühren konnte, ohne sie anzufassen. Und wie immer hatte er gleich eine Idee. Er verwandelte sich in
Rauch. Qualmt im Wald ein Holzstück, ist das nicht ungefähr lich. Qualmt aber ein Gott, na, dann gibt man am besten gleich Katastrophenalarm. Und das tat Heidlunds Vater. Beim Anblick
der sich nähernden Rauchwolke stieß er ins Horn, um den Riesen Hergrim herbeizurufen, die damalige freiwillige Feuerwehr. Hergrim eilte herbei, machte einen Schritt und platsch...
ausgequalmt war's! Odin, vor Schmerz oder Wut, wer weiß es, brach in Tränen aus. Und wenn ein Gott weint..
Jedenfalls füllte sich der Abdruck des Riesenfußes sofort mit Wasser. So entstand der Bolmen, er ist 40 km lang (nun rechne mal
aus, wie groß der Riese war). Und warum heißt der See so?
Nun, wer ein wenig Schwedisch kann, weiß, dass „qualmen“ auf Schwedisch „bolma“ heißt. Wo der kleine Zeh sich in den Boden
gedrückt hatte, entstand eine Bucht, dort siedelten sich Bauern an. Als die Provinzverwaltung dahinter kam, dass es etwas mehr als viereinhalb Häuser waren, erklärte sie die Siedlung zum
Dorf, und die Dörfler nannten es „Odinsjö“. Worauf die lutheranische Kirche auf heftigste Einspruch erhob: es könne nicht sein, dass in einem Dorfnamen der Name eines heidnischen Gottes
verewigt werde. Da Småländer nicht auf den Kopf gefallen sind, vertauschten sie das i gegen ein e. Und so heißt der Ort heute „Odensjö“.
Dass der Göttervater in Odensjö begraben werden wollte, hatte nach Oskars Meinung einen ganz natürlichen Grund: Weil er hier das
schönste Weib der Welt gesehen hatte. Und dann zeigte er mir sein Grab. Unter einem Fliederbusch waren drei kleine übereinander geworfene Findlinge, es sah aus, als sei nichts Besonderes
daran. Aber, so sagte Oskar, das wollte Odin so, nur kein Aufsehen, denn Odin – falls du es noch nicht wissen solltest – sei ein echter Schwede gewesen.