Ein Fahrrad klapperte. Es war mein Freund Gunnar auf seinem Rad. Es war ein altes Damenfahrrad und er hatte es vom Lenker bis zu den Felgen rosa gestrichen. „Um die Dörfler zu ärgern“, hatte er
mir gesagt.
Ich stand vor der Linde. Sie überragte mit ihrer breiten Krone die Hütte um das Dreifache. Vor gut 30 Jahren hatte ich sie gepflanzt.
Gunnar lehnte das Rad an die Hüttenwand, ich trat auf ihn zu, da sagte er:,: „Sprichst du mit ihr?“
„Nein", antwortete ich, „aber ich kann sie hören. Ihr Gerede klingt manchmal wie Straßenverkehr, oder wie ein Wasserfall, je nachdem."
Wir gingen auf die Veranda und setzten uns auf die Bank.
„Ist sie nicht herrlich?" begann er. „Denk dir, wenn jeder Mensch ein Blatt am Baum wär, dann wär der Stamm das Leben. Und im Wind bewegen sich alle gleich, es ist eine große Einheit zwischen den
Blättern."
„Ja, aber nicht bei uns Menschen!" sagte ich. „Da will jeder mehr haben als der andere, mehr sein als der andere. Dabei ist es überall dasselbe Leben, ob in schwarzer oder weißer Haut, ob im
Fleisch des Reichen oder in den Knochen des Armen. Das sollten wir doch endlich kapieren.“
Ich war in West-Berlin bei den Studentprotesten gewesen, hatte einen linken Buchladen gehabt, ich wusste Bescheid.
Eine Weile sah Gunnar mich schweigend an, dann kniff er ein Auge zu, stieß seinen harzigen Finger zweimal gegen meine Schulter und sagte: „Weißt du was? Du bist ein Kommunist.“
„Ja, so hat man mich damals beschimpft“, sagte ich.
Die Mauer war gefallen, die DDR gab es nicht mehr und die Sowjetunion war auseinander gebrochen.
„Wir sind die letzten Kommunisten“, sagte ich.
Gunnars seufzte. „Das waren wir schon immer.“
Und dann lachten wir..
Wir hatten gut Lachen. Wir waren alt. Wir hatten unseren Platz gefunden, unter einer alten Linde.