Als ich ihm meine restlichen Schwedenbriefmarken und einen Regenschutz fürs Radfahren auf den Tisch lege, sieht er gar nicht hin.
„Komm mit“, sagt er. Im Keller zieht er hinter einer ausgehängten Tür eine in Zeitungspapier gewickelte Bügelsäge hervor. „Heute sind wir Terroristen.“
„Gunnar,“ sage ich, „ ich hab keine Zeit. Ich muss packen. Morgen früh fahr ich heim.“
„Es geht ganz schnell.“, sagt er..
Seit Tagen berichtet das Fernsehen über illegale Bonuszahlungen an Vorstand und Manager einer großen Versicherungsgesellschaft, die einen Rentenfonds führt. Das kürzt die Renten der Einzahler,
heißt es.
„Höchste Zeit, dass was passiert. Wir legen einen Telefonmast um. Komm!“
„Warte.. Die Telefongesellschaft hat doch damit gar nichts zu tun!“
„Die Konzerne stecken alle unter einer Decke. Und außerdem.. Die letzte Telefonrechnung war viel zu hoch! Und verstehen kann sie auch keiner.“
An der Gartentür halte ich ihn am Arm zurück.
„Nein du, ich mach da nicht mit.“
Er sieht mich vorwurfsvoll an.
„Und wenn das mein letzter Wunsch ist?.“ Er ist fast 80. Er reicht mir das Paket. „Bei dir fällt es nicht so auf.“
Noch nie habe ich das Dorf so friedlich gesehen. Die Häuser stehen ordentlich auf ihren Plätzen, die Blätter an den Bäumen hängen still.
„Und wenn es deine Leitung ist? Dann kannst du nicht mehr telefonieren!“
„Darauf kann ich keine Rücksicht nehmen.“
Ich zähle die vorbeifahrenden Autos. Zwölf... Wenn im Dorf alle Telefone tot sind und der gefällte Mast entdeckt wird, gibt es eine Menge Zeugen, die zwei alte Knacker mit
einer in Zeitungspapier eingewickelten Bügelsäge gesehen haben.
„Da! Siehst du? Den Mast hab ich mir schon lange ausgesucht..“
Der Mast steht auf einer steilen Böschung. Wie will er da hochkommen? Und da haben wir's. Immer wieder rutscht er zurück, krallt sich an Grasbüschel fest. Ich muss ihn stützen.. Oben angekommen,
sag ich: „Hier sieht uns doch jeder, der da unten vorbeifährt.“
„Kein Problem. Wir ducken uns“
Im Hocken beobachten wir die Straße. Als sie leer ist, legt er die Säge an, aber nur kurz. Jedes Mal taucht ein Auto auf. Mir reicht's.
„Mensch, Gunnar, ich muss noch packen!“
„Nur Geduld..Gleich geht’s los.“ Er breitet die Zeitung auf der Erde aus und legt sich darauf. „Ist doch ein schöner Platz hier..“
„Weißt du,“ sag ich, „dass du der Telia Arbeit abnimmst? Bald gibt’s nur noch Handys, dann brauchen die den Mast nicht mehr..“
Keine Antwort, er schläft schon.
Ein grünes Auto nähert sich, ein Saab, es ist Sven. Ich rutsche die Böschung hinunter und halte ihn an. Ich erzähle ihm, was wir vorhaben.
Er grinst.
„Ja, das wollen wir schon lange. Aber, weißt du, ich hab eben nie Zeit.“
Er parkt den Wagen am Straßenrand. Schnaufend - er ist schließlich schon 70 und rundlich - krabbelt er die Böschung hoch, greift sich die Säge und sägt los. Gunnar öffnet die Augen, staunt.
Plötzlich ein Knall. Das Sägeblatt ist gerissen. Gunnar fährt hoch.
„Verdammt auch, Sven, du kannst mit Sägen nicht umgehen!“
„Die hatte schon nen Bruch.“ Sven kratzt sich die Stirn. „Vielleicht fällt er beim nächsten Sturm. Angesägt ist er..“
„Da! Hörst du?“ Gunnar tritt gegen den Mast. „Klingt viel zu gut. Der steht noch zwanzig Jahre. Ich komm wieder mit nem neuen Blatt“
Telia, das lohnt sich nicht, meint Sven. Ja, wenn es ein Hochspannungsmast wär..
„Die schmeißt du mit ner Säge nicht um,“ sagt Gunnar.
„Stimmt. Man müsste Dynamit haben.“
„Hast du was?“
Und so reden sie noch im Auto. Sven war sowieso auf dem Weg zu Gunnar. Hat für ihn in Halmstad einen Teppich aus der Reinigung abgeholt.
Wir gehen nicht ins Haus. Am Vormittag hatte es geregnet und als Gunnar sich auf einen der beiden Plastikstühle setzt, macht er es sich in einer Pfütze bequem. „Das geht nicht durch die
Jeans“, meint er. Sven kippt das Wasser von seinem Plastikstuhls, wischt mit der Hand dararüber und setzt sich. Ich klappe den Holzstuhl auf, er ist fast trocken.
„Wenn ich mich so wie heute fühl“, sagt Gunnar, „fahr ich im Winter nach China. Mit der Transsib.“ Plötzlich steht er auf und flucht. Er zeigt uns sein Hinterteil.
„Als wenn du gepinkelt hättest“, sagt Sven.
Ich nutze die Gelegenheit, um mich zu verabschieden. Bloß kein großer Bahnhof.
„Gunnar, wir telefonieren noch!“
Er nickt und schlurft ins Haus, um sich eine trockene Hose anzuziehen..
Das Telefongespräch ist kurz. Ich muss packen.
Noch vor wenigen Wochen stand die Sonne abends am Horizont , dann wanderte ein rötlicher Streifen ostwärts und morgens um fünf kam eine goldene Flut über die Baumkronen.
Heute ist es anders. In der Ferne etwas Rotes, kaum größer als ein Autobremslicht..