Er hieß Sven-Gösta, war 12 Jahre alt, geistig behindert und ein Pflegekind der Familie. Manchmal saß er auf der Haustreppe und versuchte seine Finger abzuzählen. Er kam immer nur bis zu vier,
dann raufte er sich die Haare, fluchte und fing von vorne an.
Trotz seiner Angewohnheit, oft zu fluchen, war er sehr fromm, jeden Sonntag ging er als einziger in der Familie in die Dorfkirche. Im Keller hatte er sich einen Altar aufgebaut, es war ein
kleiner Holztisch mit einer großen Blechbüchse, einem Kreuz aus zusammengebundenen Holzstücken und einem Strauß verwelkter Wiesenblumen, eingerahmt von Kieselsteinen aus dem See..
Sein zweites Merkmal war sein Heißhunger. Wahllos steckte er sich alles in den Mund, was auch nur im Fernsten wie Essen aussah. Weder beim Frühstück, noch beim Mittagessen und beim Abendbrot
konnte er genug bekommen.
Dafür erntete er manchen Spott, das schien ihn zu schmeicheln, er verdrehte den Kopf zur Decke, griff sich in die Haare und lachte.
Einmal stellte ich ihm eine Fangfrage.
„Ein Pastor kommt doch in den Himmel?“
Er nickte und machte eine Grimasse wegen der dummen Frage.
„Und wenn ein Bär einen Pastor frisst, kommt der Bär mit dem Pastor in den Himmel?“
Entsetzt blickte er mich an, dann drohte er mit der Faust. „Man stellt nicht solche Fragen!“
Wenig später ging er zu Gunnar, der im Holzschuppen gerade die Zähne einer Säge schärfte, und fragte ihn: „Wie schmeckt ein Pastor?“
„Schlecht!“ antwortete Gunnar.
Worauf der Junge tiefsinnig sagte: „Dann kommt er nicht in den Himmel.“
Denn seiner Meinung nach gab es im Himmel nur Leckereien. Sogleich fiel ihm seine quälende Sorge ein. „Komm ich in den Himmel, Gunnar?“
Vor Furcht und Aufregung ließ er den Mund offen. So oft hatte er diese Frage schon gestellt, dass Gunnar nicht mehr antworten wollte. Da heulte der Junge auf: „O Herre Gud, bist du taub oder was,
du Teufel?“
Vorsichtig die Feile auf seine Knie legend, sagte Gunnar: „Sicher kommst du in den Himmel.“ Zum Schwur hielt er dem Jungen den rechten Daumen hin. Dieser drückte seinen dagegen, schlürfte einen
dicken Speicheltropfen ein und trottete zufrieden davon.
Mein Zimmer lag neben dem des Jungen. Am Abend griff ich zur Reiseschreibmaschine, um mein Tagebuch zu schreiben, da hörte ich ihn singen. Es waren lang gezogene Töne und es klang wie der
unverständliche Gesang eines Mönches.
Ich wollte ihn um leiseres Singen bitten, und als ich eintrat, sah ich ihn im Bett liegen, die Leselampe über seinem Kopf brannte, in den Händen hielt er das aufgeschlagene Gesangbuch der
schwedischen Kirche. Er hielt es falsch rum. Ich wollte ihn darauf aufmerksam machen. Mir fiel mir ein, dass er nicht lesen konnte.. Ich beobachtete ihn eine Weile, er sang mit tiefer Inbrunst.
Ohne etwas zu sagen, ging ich zurück in mein Zimmer.
An diesem Abend schrieb ich kein Wort. Ich versuchte zu verstehen, wie das möglich war, dass der Junge, bevor er umblätterte ,kurz verstummte, und dann, die Augen oben auf die linke Seite
gerichtet, ein neues Lied zu singen begann.
Und, ja, ich schämte mich.