Es war Juni, und Gunnars Frau hatte die ersten Feriengäste für die Hütte vermietet. Es war eine Blockhütte, an der ich mitbauen durfte. Sie besaß nur einen Raum mit einem offenen Kamin und an den
langen Balkenwänden reihten sich hintereinander jeweils zwei Bettkästen, in Raummitte befand sich ein Tisch mit vier Stühlen. Darauf eine gelbe Wachstuch-Tischdecke und eine Petroleumlampe mit
grünem Glaszylinder. Die Küche war gleich beim Eingang, sehr schmal mit einem winzigen Fenster, dessen Öffnung Gunnar mit der Kettensäge herausgeschnitten hatte, als die Wand schon stand. Unter
dem Fenster eine Anrichte mit einem blauen kugelrunden Gaskocher, Töpfen und Geschirr. Das Wasser holte man aus dem Brunnen auf der Wiese. Der hatte eine Balkenkurbel mit einem Blecheimer,
den warf man hinein, wartete, bis er halb untergegangen war, und holte ihn gefüllt wieder hoch. Das Plumpsklo mit dem Herzchen in der Tür verbarg sich hinter Himbeerbüschen.
Die Gäste waren ein Student und eine Studentin aus West-Berlin. Er hatte verträumte Augen und schien ständig nach Rosen für seine Freundin Ausschau zu halten. Sie dagegen blickte wie einer, der
darauf aus war, jeden versteckten Fehler zu entdecken.
Als ich die beiden draußen mit Gunnar am Gartentisch sitzen sah, wusste ich sofort, dass er die Hütte pries, sie war sein Stolz, und ich setzte mich zu ihnen, um meinen Anteil beim Bau nicht
unerwähnt zu lassen.
Aber er sprach nicht von der Hütte, er erzählte aus einer Zeit in Argentinien erzählte. Das Pärchen war sehr verliebt, ich sah, wie sie beim Zuhören mit ihren Augen kuschelten und ich
dachte mit Schrecken, was wohl beim nächtlichen Kuschen passieren wird, wenn die ersten Mücken sich melden? Aufspringen, Kerzen anzünden.. und schon steht die Hütte in Flammen? Aber Gunnar hatte
für solche Fälle vorgesorgt. Nach seiner ungeschriebenen Hüttenordnung hatte in der Küche immer ein Eimer mit Wasser zu stehen. Das sei, meinte er, die schnellste Feuerwehr, die es gibt.
Ich vergaß, warum ich mich dazu gesetzt hatte, und lauschte Gunnar, wie er in Argentinien an einem Sonntag einen großen Riss am Gesäß seiner Hose entdeckte und ihn nicht zunähen konnte, denn er
hatte kein Garn und alle Geschäfte waren geschlossen. Aber da er so nicht in der Öffentlichkeit herumlaufen wollte, ging er in den Wald, deckte sich mit Laub zu und schlief bis zum Morgen, um
sich dann Garn zu besorgen.
Irgendwie war der junge Mann mehr von Gunnars Sprechweise beeindruckt als von einer Geschichte, er fragte, wieso die Schweden singen, wenn sie sprechen?
Gunnar war noch in Argentinien, um ich ergriff die Möglichkeit, den zukünftigen Akademikern zu zeigen, dass auch ich was wusste mit meinem Wissen zu prahlen.
So sagte ich: „Es war um 1800, da hatten die Schweden keinen König und im Land fanden sie keinen geeigneten, darum fuhren sie nach Frankreich und baten Napoleon, ihnen einen zum König geeigneten
Mann zu geben. Er üb erließ ihnen einen Marschall aus dem Geschlecht der Bernadotte. Dieser war einverstanden, aber er bestand darauf, da er kein Schwedisch konnte, dass alle in seiner
Umgebung Französisch zu sprechen hätten. Was der schwedische Hof gerne tat, denn Französisch war seinerzeit in ganz Europa große Mode unter dem Adel und außerdem erhöhte es ihren Rang im Volk.
Das Volk aber zeigte keinen Respekt, im Gegenteil, es machte sich lustig, ahmte die Art des Sprechens nach, indem es die letzte Silbe eines Wortes ganz wie die Franzosen besonders betonte. Bald
machte es ihnen Spaß, so zu sprechen und schließlich wurde es zur Gewohnheit. Und so haben wir heute den wundersamen Singsang in der schwedischen Sprache.
Ich war selbst überrascht. Aus einer historischen Wahrheit hatte sich ganz gegen meine Absicht eine Legende entwickelt, manchmal gingen mit mir die Pferde durch, besonders wenn ich beeindrucken
wollte. Überzeugt, Gunnar, der ein wandelndes Lexikon war, würde sofort die richtige Seite aufschlagen und die Sache richtig stellen, machte ich mich auf einen Blamage gefasst.
Der junge Mann sah mich mit großen Augen an. Die Studentin schien mich mit ihrem Messerblick sezieren zu wollen. Und sie war es, die kühl sagte: Das könne sie nicht glauben. Sie studiere
Germanistik. So etwas habe sie noch nirgendwo gehört oder gelesen.
In diesem Moment wünschte ich, weit weg von Schweden zu sein, meinetwegen in Argentinien.
Gunnar war aus Argentinien heimgekehrt, nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse und sagte: „Doch, das stimmt.“ Und nickte ernst, als könnte es nicht den geringsten Zweifel geben.
Von diesem Augenblick an wusste ich, dass ich mich jeder Zeit und unter allen Umständen auf ihn verlassen konnte, so wie er sich auf mich verlassen konnte.
Und außerdem: vielleicht stimmt meine Geschichte sogar.
Später erfuhr ich, warum die beiden gekommen waren. Der Kamin würde qualmen. Es stellte sich heraus, sie hatten die Stange am Kamin nicht gezogen, um den Abzug zu öffnen.
„Es fehlte noch“, sagte ich, „dass sie im Schlaf ersticken.“
„Keine Angst“, sagte Gunnar, „Liebespaare schlafen nicht.“