Zwar war der zweite Weltkrieg längst vorbei, aber es herrschte der kalte Krieg und das kleine Schweden sah sich von Russland bedroht. Darum pflegte es sein Heer und veranstaltete regelmäßig Militärmanöver, eines davon fand in Småland statt. Das erfuhr ich von Oskar Mild, dem alten Bootsbauer in Odensjö. Er saß auf den Steinstufen zu seiner Hütte und wartete auf das Postauto. Er wusste, dass ich gerne seine Geschichten hörte, besonders die von Anders, dem Dorforiginal. Er hatte mich zu sich gerufen. Ich ließ mich an seiner Seite nieder und lauschte seiner brummigen Stimme.
Der Auftrag lautete: Ein vom Feind erobertes Gebiet am See Bolmen sollte befreit werden. Darauf setzte die Garnison in Halmstad an der Westküste Schwedens eine Kampfeinheit, bestehend aus sechs
Panzern, nordwärts in Bewegung, sie sollte sich im Wald am südlichen Zipfel des Sees verstecken und auf weitere Befehle warten.
Kurz darauf bekam Leutnant Ekblad, Kommandeur der Panzereinheit, über Funk den Befehl, westlich des Sees gegen das etwa 20 km nördliche gelegene Unnaryd vorzurücken und den Feind aus dem Ort zu
treiben. Ein direktes Anschleichen war unmöglich, das verhinderte ein lang gestrecktes Moor. Er befahl daher, einen Umweg zu nehmen und auf die Straße in Richtung des Dorfes Odensjö
einzuschwenken.
Wenig später musste er eine neue Entscheidung treffen. Eine Sperre wegen Straßenbauarbeiten ließ die Panzer stoppen. Ein Umleitungsschild wies nach links in einen Waldweg. Eingedenk des
eindringlichen Hinweises seines Generals, den Manöverschaden möglichst gering zu halten, befahl er, die Baustelle zu umgehen und in den Waldweg einzubiegen.
Nach wenigen Metern empfand er tiefe Genugtuung: Wenn das kein Schleichweg ist, dachte er, dann soll mir der General mal einen zeigen!
Ein wenig besorgt war er schon, denn sein Führungspanzer musste ziemlich viele Bäume beiseite drücken, andererseits war der Schleichweg optimal. Es sollte ja möglichst realistisch zugehen, hatte
der Oberst erklärt, und, bitte, dachte der Leutnant grimmig, jetzt haben wir’s: sein Panzer hatte sich festgefahren.
„An alle: 20 Meter zurücksetzen!“
Während es den Panzern hinter ihm ohne Schwierigkeit gelang, wühlte sich seiner nur noch tiefer in den Morast. Schließlich rührten sich nicht einmal mehr seine Ketten.
Der nächst stehende Panzer wurde zu Hilfe gerufen. Mit einer Stahltrosse sollte er den Panzer herausziehen, was aber nicht gelang. Nun war der Ernstfall da. Nicht der russische Feind hatte die
Panzerkolonne lahmgelegt, sondern der småländische Sumpf.
Das war der Moment, wo Oskar mir einen Eidechsenblick aus seinen Augenwülsten zuwarf. Er stand ganz auf Seiten Smålands. Wie übrigens das ganze Dorf. Wann immer das Militär hier aufkreuzte,
hofften die Dörfler auf einen Abwehrschlag der dunklen Wälder.
Und dieses Manöver war offensichtlich der Beginn einer harten Auseinandersetzung zwischen der Halmstader Garnison und dem Odensjöer Wald.
Davon ahnte der Leutnant nichts. Über Funk informierte er seinen General. Danach hatte der junge Offizier rote Ohren und fluchte mörderisch auf seinen Fahrer, worauf auch dieser zu fluchen
begann: Auf die Russen, auf die Politik, auf die Mücken und auf Småland. Auf Letzteres besonders.
Biwakieren und den Bergungspanzer abwarten, lautete der Befehl. Er sollte am nächsten Morgen aus der entgegengesetzten Richtung zu ihnen stoßen, seltsamerweise war er auch am Nachmittag noch
nicht am Bergungsort. Als sich der Leutnant erkundigte, hörte er erst einen ellenlangen Fluch und dann Folgendes: Der Bergungspanzer sei ebenfalls eingesunken, etwa 2 km von ihnen entfernt.
In der Zwischenzeit stellte man fest, dass es auf dem Weg überhaupt keine Baustelle gab, auch von einer Absperrung war nichts zu sehen.
Der General, ein langer, hagerer Mann mit Halbglatze und einem Schnauzbart, ohnehin schon stark erregt, empörte sich. Wütend lief er vor seinen Offizieren auf und ab. „Arbeiten die Russen schon
mit solchen Tricks?“
Man machte ihn darauf aufmerksam, dass es sich vorläufig nur um ein Manöver handelte. Und witzelnd fügte einer hinzu: Man befände sich keinesfalls im Krieg, sondern bloß in Småland.
Das erheiterte die Männer, auch den General fand seine Laune wieder und sagte: „Jaso! Dann waren das die Trolle!“
Sekunden später wünschte er sich, es wäre richtiger Krieg und die Russen wären schuld. Ihm dämmerte nämlich, um was es sich wirklich handelte: um Sabotage. Unvorstellbar! In keinem Manöverplan
war das je vorgekommen. Konnte auch nicht. So eine Handlung war einfach nicht schwedisch. Der General wischte sich die feuchte Stirn. Der Vorfall musste nach oben gemeldet werden.
Damit bekam die Sache eine hochpolitische Dimension. Der Verteidigungsminister beriet sich mit dem Ministerpräsidenten, dem Außenminister sowie dem Innenminister. Gemeinsam kamen sie zu dem
Ergebnis, die peinliche Sache wie ein Staatsgeheimnis zu behandeln, schließlich wolle man weiteren Saboteuren keine Aufmunterung geben. Eine Sabotage hatte daher offiziell nicht stattgefunden. Es
war ein schlichter Unfall. Die Panzer seien sofort aus ihrer Lage zu befreien und zu ihrem Standort zurück zu führen.
Und damit landete alles wieder bei unserem General. Stolz auf seine langen Beine, schritt er gerne vor einem Publikum auf und ab. Diesmal rannte er von einer Zimmerwand zur anderen und merkte
nicht einmal, dass kein Zuschauer vorhanden war. Er war zu Recht empört. Eine Unterstützung durch moorerfahrene Pioniere hatte man ihm verweigert, um die Geheimhaltung nicht zu gefährden. Er
musste mit den vorhandenen Soldaten auskommen.
Der General quartierte sich in der Wohnung des Odensjöer Dorfhändlers ein, um von dort die Zurückeroberung der Panzer zu leiten.
Zwar befand man sich noch im Manöver, aber für die Soldaten schien tatsächlich der Krieg auszubrechen. Nicht dass sie ihre Schusswaffen einsetzten, das hätten sie verstanden, schließlich hatten
sie das geübt, jetzt mussten sie mit Sägen und Äxten und zwei Baggern um den Sieg kämpfen.
Wie viele Bäume dem Kampf zum Opfer fielen, lässt nicht sagen. Wer aber heute den noch immer vorhandenen Schleichweg findet, wird in einer Senke auf eine Fläche von der Größe eines Fußballplatzes
stoßen, die nur von Krüppelgewächs bewachsen ist. Auf der Südseite zieht sich ein tiefer, langer Graben hin, der sich in der Regenzeit mit schwarzem Moorwasser füllt.
Während des Schweiß treibenden Einsatzes der Soldaten verbreitete ich das Gerücht, es würden sich feindliche Agenten im Dorf verstecken. Darum befahl der General Hausdurchsuchungen, doch es
fanden sich weder feindliche Agenten, noch ein Umleitungsschild oder ein Saboteur.
Zwei Tage später zog die erschöpfte Einheit mit dem zurückeroberten Panzer ab. Und niemand im Dorf sprach mehr darüber. Die einen, weil sie nicht begreifen konnten, was da passiert war, die
anderen, weil sie sowieso am liebsten schwiegen.
Auch Oskar schwieg jetzt. War die Geschichte etwa zu Ende? Von Anders war kein einziges Mal die Rede gewesen. Noch immer sagte Oskar kein Wort. Ich stand auf und dankte ihm. Mit einem Fuß stand
ich schon auf der Sandstraße, da hörte ich seine Stimme: „Die Geschichte ist noch nicht zu Ende!“ Ich drehte mich um. Die Reuse auf den Knien, den Kopf gesenkt, fingerte er an ihr herum.
Weder blickte er auf, noch sagte er ein Wort, obwohl er genau wusste, dass ich zu ihm hinsah. Und das hieß doch wohl: Jetzt nicht. Ein andermal!
Schon am Abend spürte ich, wie es an mir zupfte, als hielt mich einer an der Leine. Ja, ich musste gestehen: der Haken saß! Am nächsten Tag lief ich unruhig herum, immer mit einem verstohlenen
Blick auf Oskars Hütte, aber er zeigt sich nicht. Endlich, am dritten Tag, winkte er mich zu sich. Er hockte auf der Böschung, zwischen Grasbüscheln und Heidekraut, und starrte in Richtung
Kirche, wo eine Trauung stattfand.
„Siehst du? Sie heiraten. Immer wieder heiraten sie dort. Kannst du mir sagen warum?“ Auf seinem Grundstück befand sich Odins Grab, jedenfalls hieß es so, und er war der Hüter des Grabes. Ich
verstand seinen Groll: Am Grabe Odins hatte sich noch keine Hochzeitsgesellschaft versammelt, und das wäre doch ein Zeichen der Bußfertigkeit für den grausamen Sieg des Kreuzes über Odin gewesen
„Also die Geschichte. Jaha...“
Ich lasse die Pausen weg und mache es kurz.
Als der Pastor eines Sonntags die Kirchentür aufschloss, stieß er im Halbdunkel des Vorraums gegen ein Stangengerüst mit dem Schild „Umleitung“. Erst war er verblüfft, dann erschrocken, aber dann
verstand er. Rasch versteckte er alles in der Sakristei.
Am Montag lud er die Stangen mit dem Schild in sein Auto und fuhr zu einem Bauunternehmen im Nachbardorf. Mit den Worten, er bringe gestohlenes Diebesgut zurück und gegen eine Spende hätte er
nichts einzuwenden, legte er dem Unternehmer Schild und Stellgerüst vors Haus. Dem war sein Eigentum immerhin 50 Kronen wert.
Auf dem Rückweg fuhr der Pastor zu Anders. Er trat in das kleine Haus mit den grauen Fassadenplatten und fand den Alten am Tisch sitzen, wie er aus einem Bügeleisen eine Herdplatte machte.
Wortlos legt der Pastor die 50 Kronen neben das Bügeleisen. Beide blickten sich an, der etwas füllige Pastor und der magere, kleine Greis.
Nachdem sie sich lang genug angeschwiegen hatten, sagte der Pastor: „Der Eigentümer hat es wieder. Und das hier ist dein Finderlohn.“
„Ich hab das Gott spendiert“, murmelte Anders mit einem schrägen Blick aufs Geld.
„In diesem Falle“, antwortete der Pastor, „gibt Gott dir die Spende zurück. Er ist zwar wie du gegen das Militär. Aber er kämpft mit offenem Visier.“
Der Pastor hatte schon die Tür geöffnet, da hörte er Anders helle Kinderstimme: „Und, bitteschön, warum gibt es noch immer das Militär?“
Für eine Weile stand der Pastor still an der Tür, dann ging er wortlos davoin.
Manchmal schweigt Gott, selbst wenn ein Pastor um Hilfe ruft.
Zwar war der zweite Weltkrieg längst vorbei, aber es herrschte der kalte Krieg und das kleine Schweden sah sich von Russland bedroht. Darum pflegte es sein Heer und veranstaltete regelmäßig
Militärmanöver, eines davon fand in Småland statt. Der Auftrag lautete: Ein besetztes Gebiet sollte vom Feind befreit werden. Und das ging so:
Die alarmierte Kampfeinheit aus Halmstad an der Westküste Schwedens sammelte sich in einem Waldversteck am südlichen Zipfel des Sees Bolmen zum Angriff.
Als erster bekam Leutnant Ekblad, Kommandeur von fünf Panzern, über Funk den Befehl, westlich des Sees gegen das von feindlichen Truppen besetzte Unnaryd vorzurücken und diese aus dem Ort zu
treiben. Unnaryd lag etwa 20 km entfernt. Ein direktes Anschleichen war unmöglich, das verhinderte ein lang gestrecktes Hochmoor. Er befahl daher, in einen Umweg in Richtung des Dorfes Odensjö
einzuschwenken.
Kurz davor musste er eine neue Entscheidung treffen. Eine Sperre wegen Straßenbauarbeiten ließ die Panzer stoppen. Ein Umleitungsschild wies nach links in einen Waldweg. Eingedenk des
eindringlichen Hinweises seines Generals, den Manöverschaden möglichst gering zu halten, befahl er, die Baustelle zu umgehen und in einen Waldpfad einzubiegen. Nach wenigen Metern empfand er
tiefe Genugtuung: Wenn das kein Schleichweg ist, dachte er, dann soll mir der General mal einen zeigen!
Ein wenig besorgt war er schon, denn sein Führungspanzer musste dann und wann einen Baum beiseite drücken, andererseits war der Schleichweg optimal. Es sollte ja möglichst realistisch zugehen,
hatte der Oberst erklärt, und, bitte, dachte der Leutnant grimmig, jetzt haben wir’s: sein Panzer hatte sich festgefahren.
„An alle: 20 Meter zurücksetzen!“ Während es den Panzern hinter ihm ohne Schwierigkeit gelang, wühlte sich seiner nur noch tiefer in den Sumpf. Schließlich rührten sich nicht einmal mehr seine
Ketten.
Der nächst stehende Panzer wurde zu Hilfe gerufen. Mit einer Stahltrosse sollte er den stecken gebliebenen Panzer herausziehen, was aber nicht gelang. Nun war der Ernstfall da. Nicht der
russische Feind hatte einen Panzer lahmgelegt und drei weitere zum Stillstand gebracht, sondern der småländische Sumpf.
Das war der Moment, wo Oskar mir einen Eidechsenblick aus seinen Augenwülsten zuwarf. Er stand ganz auf Seiten Smålands. Wie übrigens das ganze Dorf. Wann immer das Militär hier aufkreuzte,
hofften die Dörfler auf einen Abwehrschlag der dunklen Wälder.
Und dieses Manöver war offensichtlich der Beginn einer harten Auseinandersetzung zwischen der Halmstader Garnison und dem Odensjöer Wald.
Davon ahnte der Leutnant nichts. Über Funk informierte er seinen General. Danach hatte der junge Offizier rote Ohren und fluchte mörderisch auf seinen Fahrer, worauf auch dieser zu fluchen
begann: Auf die Russen, auf die Politik, auf die Mücken und auf Småland. Auf Letzteres besonders.
Biwakieren und den Bergungspanzer abwarten, lautete der Befehl. Er sollte am nächsten Morgen aus der entgegengesetzten Richtung zu ihnen stoßen, seltsamerweise war er auch am Nachmittag noch
nicht am Bergungsort. Als sich der Leutnant erkundigte, hörte er erst einen ellenlangen Fluch und dann Folgendes: Der Bergungspanzer sei ebenfalls eingesunken, etwa 2 km von ihnen entfernt.
In der Zwischenzeit stellte man fest, dass es auf dem Weg überhaupt keine Baustelle gab, auch von einer Absperrung war nichts zu sehen.
Der General, ein langer, hagerer Mann mit Halbglatze und einem Schnauzbart, ohnehin schon stark erregt, empörte sich. Zornig lief er vor seinen Offizieren auf und ab. „Arbeiten die Russen schon
mit solchen Tricks?“
Man machte ihn darauf aufmerksam, dass es sich vorläufig nur um ein Manöver handelte. Und witzelnd fügte einer hinzu: Man befände sich keinesfalls im Krieg, sondern bloß in Småland.
Das erheiterte die Männer, auch den General fand seine Laune wieder und sagte: „Jaso! Dann waren das die Trolle!“
Sekunden später wünschte er sich, es wäre richtiger Krieg und die Russen wären schuld. Ihm dämmerte nämlich, um was es sich wirklich handelte: um Sabotage. Unvorstellbar! In keinem Manöverplan
war das je vorgekommen. Konnte auch nicht. So eine Handlung war einfach nicht schwedisch. Der General wischte sich die feuchte Stirn. Der Vorfall musste nach oben gemeldet werden.
Damit bekam die Sache eine hochpolitische Dimension. Der Verteidigungsminister beriet sich mit dem Ministerpräsidenten, dem Außenminister sowie dem Innenminister. Gemeinsam kamen sie zu dem
Ergebnis, die peinliche Sache wie ein Staatsgeheimnis zu behandeln, schließlich wolle man weiteren Saboteuren keine Aufmunterung geben. Eine Sabotage hatte daher offiziell nicht stattgefunden. Es
war ein schlichter Unfall. Die Panzer seien sofort aus ihrer Lage zu befreien und zu ihrem Standort zurück zu führen.
Und damit landete alles wieder bei unserem General. Stolz auf seine langen Beine, schritt er gerne vor einem Publikum auf und ab. Diesmal rannte er von einer Zimmerwand zur anderen und merkte
nicht einmal, dass kein Zuschauer vorhanden war. Er war zu Recht empört. Eine Unterstützung durch moorerfahrene Pioniere hatte man ihm verweigert, um die Geheimhaltung nicht zu gefährden. Er
musste mit den vorhandenen Soldaten auskommen.
Der General quartierte sich in der Wohnung des Odensjöer Dorfhändlers ein, um von dort die Zurückeroberung der Panzer zu leiten.
Zwar befand man sich noch im Manöver, aber für die Soldaten schien tatsächlich der Krieg auszubrechen. Nicht dass sie ihre Schusswaffen einsetzten, das hatten sie geübt, jetzt kämpften sie mit
Sägen und Äxten und zwei Baggern. Wie viele Bäume dem zum Opfer fielen, lässt nicht sagen. Wer aber heute den noch immer vorhandenen Schleichweg findet, wird in einer Senke auf eine merkwürdige
Fläche von der Größe eines Fußballplatzes stoßen, die nur von Krüppelgewächs bewachsen ist. Auf der Südseite zieht sich ein tiefer, langer Graben hin, der sich in der Regenzeit mit schwarzem
Moorwasser füllt.
Ein Gerücht verbreitete sich: Es versteckten sich feindliche Agenten im Dorf. Darum befahl der General Hausdurchsuchungen, doch es fanden sich weder feindliche Agenten, noch ein Umleitungsschild
oder ein Saboteur.
Zwei Tage später zog die erschöpfte Einheit mit dem zurückeroberten Panzer ab. Und niemand im Dorf sprach mehr darüber. Die einen, weil sie nicht begreifen konnten, was da passiert war, die
anderen, weil sie sowieso am liebsten schwiegen.
Auch Oskar schwieg jetzt. War die Geschichte etwa zu Ende? Von Anders war kein einziges Mal die Rede gewesen. Noch immer sagte Oskar kein Wort. Ich stand auf und dankte ihm. Mit einem Fuß stand
ich schon auf der Sandstraße, da hörte ich seine Stimme: „Die Geschichte ist noch nicht zu Ende!“ Ich drehte mich um. Die Reuse auf den Knien, den Kopf gesenkt, fingerte er an ihr herum.
Weder blickte er auf, noch sagte er ein Wort, obwohl er genau wusste, dass ich zu ihm hinsah. Und das hieß doch wohl: Jetzt nicht. Ein andermal!
Schon am Abend spürte ich, wie es an mir zupfte, als hielt mich einer an der Leine. Ja, ich musste gestehen: der Haken saß! Am nächsten Tag lief ich unruhig herum, immer mit einem verstohlenen
Blick auf Oskars Hütte, aber er zeigt sich nicht. Endlich, am dritten Tag, winkte er mich zu sich. Er hockte auf der Böschung, zwischen Grasbüscheln und Heidekraut, und starrte in Richtung
Kirche, wo eine Trauung stattfand.
„Siehst du? Sie heiraten. Immer wieder heiraten sie dort. Kannst du mir sagen warum?“ Auf seinem Grundstück befand sich Odins Grab, jedenfalls hieß es so, und er war der Hüter des Grabes. Ich
verstand seinen Groll: Am Grabe Odins hatte sich noch keine Hochzeitsgesellschaft versammelt, und das wäre doch ein Zeichen der Bußfertigkeit für den grausamen Sieg des Kreuzes über Odin gewesen
„Also die Geschichte. Jaha...“
Ich lasse die Pausen weg und mache es kurz.
Als der Pastor eines Sonntags die Kirchentür aufschloss, stieß er im Halbdunkel des Vorraums gegen ein Stangengerüst mit dem Schild „Umleitung“. Erst war er verblüfft, dann erschrocken, aber dann
verstand er. Rasch versteckte er alles in der Sakristei.
Am Montag lud er die Stangen mit dem Schild in sein Auto und fuhr zu einem Bauunternehmen im Nachbardorf. Mit den Worten, er bringe gestohlenes Diebesgut zurück und gegen eine Spende hätte er
nichts einzuwenden, legte er dem Unternehmer Schild und Stellgerüst vors Haus. Dem war sein Eigentum immerhin 50 Kronen wert.
Auf dem Rückweg fuhr der Pastor zu Anders. Er trat in das kleine Haus mit den grauen Fassadenplatten und fand den Alten am Tisch sitzen, wie er aus einem Bügeleisen eine Herdplatte machte.
Wortlos legt der Pastor die 50 Kronen neben das Bügeleisen. Beide blickten sich an, der etwas füllige Pastor und der magere, kleine Greis.
Nachdem sie sich lang genug angeschwiegen hatten, sagte der Pastor: „Der Eigentümer hat es wieder. Und das hier ist dein Finderlohn.“
„Ich hab das Gott spendiert“, murmelte Anders mit einem schrägen Blick aufs Geld.
„In diesem Falle“, antwortete der Pastor, „gibt Gott dir die Spende zurück. Er ist zwar wie du gegen das Militär. Aber er kämpft mit offenem Visier.“
Der Pastor hatte schon die Tür geöffnet, da hörte er Anders helle Kinderstimme: „Und, bitteschön, warum gibt es noch immer das Militär?“
Für eine Weile stand der Pastor still an der Tür, dann ging er wortlos hinaus.
Manchmal schweigt Gott, selbst wenn ein Pastor um Hilfe ruft.
Mein Schweden
Tagebuchgeschichten aus Småland
von Dieter Lenz
3. Auflage
156 S. Softcover, 18 cm x 11,5 cm
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